Lexikon der Physik: Thermodynamik und Statistische Mechanik
Thermodynamik und Statistische Mechanik, makroskopische (Thermodynamik oder Wärmelehre) und mikroskopische (Statistische Mechanik) Beschreibung von Prozessen in der Natur, in denen Energie in Form von Wärme vorkommt. Im Energiesatz, der besagt, daß Energie insgesamt nicht verloren gehen oder aus dem Nichts entstehen kann, muß auch die Wärme mitberücksichtigt werden. Die Thermodynamik beschreibt z.B. makroskopisch, in welcher Weise Wärmeenergie in mechanische Arbeit verwandelt werden kann und umgekehrt. Sie ist phänomenologischer Natur, gründet nur auf nachprüfbare Beobachtung und ist unter gewissen Voraussetzungen (s.u.) exakt. Die Statistische Mechanik beschreibt die Vorgänge der Thermodynamik mikroskopisch, d.h. sie trägt dem Umstand Rechnung, daß Wärmeenergie die kinetische Energie von Atomen und Molekülen beinhaltet, aus welchen Materie aufgebaut ist. Nachdem es unmöglich ist, die Bewegungskoordinaten (Raum- und Geschwindigkeitskoordinaten) der Vielzahl von Atomen und Molekülen in Materie explizit zu erfassen, beschreibt die Statistische Mechanik lediglich die Wahrscheinlichkeit oder die Mittelwerte dieser Koordinaten, mit welchen die Teilchen unter gegebenen makroskopischen Bedingungen anzutreffen sind. Trotzdem ist die Statistische Mechanik in höherem Maße ›explizit‹ als die Thermodynamik und im Stande, die Axiome, auf denen letztere aufbaut, zu deuten.
Die exakte phänomenologische Thermodynamik handelt nur von Gleichgewichtszuständen und von reversiblen Pozessen, mit welchen sich solche Zustände ändern lassen (reversible Zustandsänderungen). Dies beinhaltet z.B., daß beim Wärmetausch zwischen zwei Körpern deren Temperaturdifferenz sehr klein sein muß, und daß deshalb der Prozeß auch sehr lange dauert. Dafür ist er umkehrbar: Beim Ändern des Vorzeichens der (kleinen) Temperaturdifferenz fließt die gleiche Wärmemenge in umgekehrter Richtung. Die meisten thermischen Prozesse in der Natur laufen allerdings nicht reversibel, sondern irreversibel ab. Eine Erweiterung der reversiblen Thermodynamik auf irreversible Prozesse ist jedoch leicht möglich. Die reversible Thermodynamik postuliert vier Hauptsätze (HS), aus welchen sich alle beobachtbaren Prozesse ableiten lassen:
Nullter HS: ›Sind zwei Körper im thermodynamischen Gleichgewicht mit einem dritten, so sind sie auch untereinander im thermodynamischen Gleichgewicht.‹ Dieser Satz postuliert die Existenz einer Temperatur, die im Gleichgewichtszustand für alle drei Körper gleich ist.
Erster HS: dU = dQ + dA
Oder: ›Die innere (oder totale) Energie U eines Körpers kann geändert werden sowohl durch Zufuhr von Wärmeenergie (dQ) oder durch Arbeit (dA), die am Körper verrichtet wird.‹ Dies ist der Energiesatz sowie die Definition von Wärme als einer Form von Energie.
Zweiter HS: Dies ist der Satz von der Entropie. Während die innere EnergieU eine eindeutige Funktion der Zustandsvariablen (etwa Druck p, Volumen V und Temperatur T) ist (Zustandsfunktion), ist das für die im Körper enthaltene Wärmemenge Q nicht der Fall. Q hängt davon ab, auf welche Weise der Körper zu einem Zustand (p,V,T) gekommen ist. Dagegen ist die Funktion dS = δQ / T, die Entropie, eine solche eindeutige Zustandsfunktion. δQ sind hierbei die Wärmemengen, die dem Körper bei der Temperatur T zugeführt wurden (in reversibler Weise). Startet man also einen Kreisprozeß von reversiblen Zustandsänderungen mit der Entropie S0 und kehrt zum Ausgangszustand zurück, so beträgt die Entropie wiederum S0. Falls im Kreisprozeß auch irreversible Prozesse stattfinden, erhöht sich S dadurch stets (ΔSirr > 0).
Dritter HS: ›Die Entropie aller Körper verschwindet am absoluten Nullpunkt der Temperatur.‹
Der erste und der zweite H.S. sind unmittelbar verknüpft mit der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile erster und zweiter Art: Das Perpetuum mobile erster Art ist eine Maschine, die Arbeit leistet, ohne daß irgendwo sonst Veränderungen stattfinden. Dies ist nach dem ersten H.S. unmöglich. Das Perpetuum mobile zweiter Art postuliert eine Maschine, die Arbeit leistet und dabei nur die Temperatur eines Wärmereservoirs erniedrigt. Dies würde einen Kreisprozeß voraussetzen, in welchem die Entropie eines Ausgangszustands ständig erniedrigt wird, was nach dem zweiten H.S. nicht möglich ist. Es gibt noch weitere Formulierungen des zweiten H.S., z.B. diejenige, daß es nicht möglich ist, daß Wärmeenergie von selbst von einem kälteren zu einem wärmeren Reservoir fließt. Alle Formulierungen sind jedoch äquivalent.
Eine wichtige Konsequenz des zweiten Hauptsatzes ist die Tatsache, daß ein abgeschlossenes System (kein Materie- oder Wärmeaustausch mit der Umgebung) im thermodynamischen Gleichgewicht einen Höchstwert der Entropie annimmt, der nur noch von den unabhängigen Zustandsvariablen (z.B. Druck und Temperatur) abhängt. Dieser Umstand läßt sich mit Hilfe der thermodynamischen Potentiale nutzen, um auch Gleichgewichtszustände von Systemen im thermischen Gleichgewicht mit ihrer Umgebung zu finden. Es zeigt sich z.B., daß für einen Körper bei konstantem Volumen und konstanter Temperatur seine freie EnergieF = U – TS im thermodynamischen Gleichgewicht minimal werden muß. In diesem Fall variiert die abhängige Variable (der Druck p) derart, daß dies der Fall ist. Oft muß der Gleichgewichtszustand bei konstanter Temperatur und konstantem Druck gesucht werden. Dann ist es das Gibbssche Potential (freie Enthalpie) G = U – TS + pV, welches in gleicher Weise minimiert werden muß. Die Minimumsbedingung liefert in diesem Fall das Volumen als Funktion der vorgegebenen Parameter Druck und Temperatur. Besteht ein System aus mehreren Stoffen in verschiedenen Aggregatzuständen (d.h. aus mehreren Phasen), die im thermischen Gleichgewicht zueinander stehen, so vermehren sich dadurch zwar die Zustandsvariablen, das Prinzip der Bestimmung des Gleichgewichtszustands, nämlich das Auffinden des Minimums eines thermodynamischen Potentials, bleibt jedoch dasselbe. Dieses Prinzip ist insbesondere von Bedeutung in der Chemie, weil es gestattet, das Gleichgewicht von chemischen Reaktionen als Funktion der Temperatur zu bestimmen.
Die Statistische Mechanik behandelt die Wärmeenergie mikroskopisch, d.h. sie beschreibt die thermische Bewegung eines Systems von N Atomen durch Angabe der Orts- und Geschwindigkeiteskoordinaten im 6N-dimensionalen Phasenraum. Diese Koordinaten wiederum müssen nach der klassischen Physik den Hamiltonschen Bewegungsgleichungen (Analytische Mechanik) genügen. Ein momentaner Zustand des Systems ist gegeben durch einen Punkt in diesem Phasenraum. Er verschiebt sich mit der Zeit und erzeugt eine Fläche von Zuständen konstanter Energie im Phasenraum. Die Anzahl so erzeugter Zustände ist die mikrokanonische Gesamtheit (mikrokanonisches Ensemble). Bereits für diese Gesamtheit folgt aus der Ergodenhypothese (Zeitmittel = statistisches Mittel) der Gleichverteilungssatz, welcher besagt, daß die mittlere kinetische Energie pro Freiheitsgrad für alle Teilchen gleich ist und ein Maß für die Temperatur darstellt, die durch
ausgedrückt werden kann (k: Boltzmann-Konstante, Ω(E): Phasenraumvolumen aller mikrokanonischen Gesamtheiten mit Energien von 0 bis E). Ebenso läßt sich zeigen, daß die Entropie verknüpft ist mit der Größe dieses Phasenraumvolumens durch S = k ln Ω(E).
Denkt man sich ein System von N Teilchen in thermischem Kontakt mit einem noch wesentlich größeren System, das die Temperatur T hat und mit welchem es Wärmeenergie austauschen kann, so kann man nach der Wahrscheinlichkeit P(E) fragen, das System mit der Energie E aufzufinden. Man erhält
Hierbei ist α = 1 / kT und Z die Zustandssumme des kleinen Systems. P(E) repräsentiert die Boltzmann-Verteilung. Aus der Zustandssumme folgen alle thermodynamischen Potentiale, z.B.
freie Energie F = -kT lnZ ,
Entropie S = ∂ / ∂T (kT lnZ).
Die Zustandssumme ist deshalb eine der wichtigsten Größen in der Statistischen Mechanik. Sie ist bekannt, wenn man weiß, wie viele unterscheidbare Energiezustände ein System haben kann. Besondere Bedeutung kommt der Statistik in der Quantenmechanik zu, wo im Gegensatz zur klassischen Mechanik scheinbar verschiedene Zustände ununterscheidbar werden können. So erzeugt z.B das Vertauschen von zwei Teilchen mit geradzahligem Spin in einem quantenmechanischen System keinen neuen Zustand. Dies kann in der Statistischen Mechanik durch den Übergang zur großkanonischen Gesamtheit (großkanonischesEnsemble) behandelt werden, wo man nicht nur die Energie eines Untersystems, sondern auch seine Teilchenzahl variieren läßt. Man gelangt auf diese Weise zur Bose-Einstein-Statistik für Teilchen mit geradzahligem Spin und zur Fermi-Dirac-Statistik für Teilchen mit ungeradzahligem Spin.
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