Lexikon der Psychologie: Suizid
Suizid, auch: Selbstmord, Selbsttötung, eine Handlung mit Todesfolge, die mit Absicht durchgeführt wird und nicht Ausdruck von persönlicher Freiheit, sondern von Hoffnungslosigkeit ist. Suizidgedanken haben bis zu 80% aller Menschen v.a. in Krisenzeiten und Phasen der Neuorientierung. Für Menschen unter 40 Jahren (ca. 70 % Männer) ist Suizid nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache (1995: 12.900 nachgewiesene Todesfälle durch Suizid in Deutschland; Suizidrate: 15 je 100.000 Einwohner). Man nimmt an, daß auf einen “erfolgreichen” Suizid etwa 40 Suizidversuche kommen (die v.a. von Frauen und jüngeren Personen durchgeführt werden).
1) Risikogruppen: Ein erhöhtes Suizidrisiko weisen an Depression Erkrankte auf: Die Suizidrate liegt je nach beurteiltem Schweregrad der depressiven Symptomatik zwischen 4% bei allen depressiven Syndromen und 14-15% bei stationär behandelten depressiven Patienten. Bei Schizophrenie werden Suizidraten von bis zu 13% angenommen. Auch bei Alkoholismus ist die Suizidrate erhöht: etwa 2% bei behandelten und bis zu 3,5% bei unbehandelten Alkoholikern. Das Risiko einer “erfolgreichen” Suizidhandlung steigt mit dem Alter, vor allem für Männer. Auch die Suizidgefährdung Medikamenten- und Drogenabhängiger ist ein Vielfaches höher als in der Gesamtbevölkerung. Zu den Risikogruppen zählen außerdem noch unheilbar Kranke (z.B. Dialysepatienten, AIDS, Krebserkrankung) und Personen in Haft. Bester Prädiktor für einen erneuten Suizid sind ehemalige Suizidversuche.
2) Erklärungsansätze: a) Aus psychoanalytischer Sicht hat Suizid mit unbewußten aggressiven Impulsen zu tun: Der Tötungswunsch gegenüber einem zugleich geliebten und gehaßten Menschen wird gegen sich selbst gerichtet (Todesstrieb). b) Aus soziologischer Sicht (E. Durckheim) hängt Suizid von gesellschaftlichen Faktoren ab. Die Suizidrate variiert umgekehrt proportional zum Verhältnis der Integration in die soziale Bezugsgruppe (Familie, Konfession, Staat). Ohne ausreichende Bindung in eine soziale Gruppe kommt es zum egoistischen Suizid; der altruistische Suizid ist eine Opferhandlung für das (vermeintliche) Wohl der Gesellschaft (z.B. Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche und Nonnen in Vietnam, Suizidterrorismus). Anomische Suizide sind Selbstötungen in krisenhaften Phasen, wenn sich die Lebensumstände dramatisch ändern, z.B. durch persönliche und/oder gesellschaftlich bedingte Verlusterlebnisse. c) Nach den Erfahrungen aus der Psychiatrie bei der Behandlung von Suizidalen hängen zwar Suizid und Psychosen nicht unmittelbar miteinander zusammen. Unbestritten aber ist, daß bestimmte Symptome – Trauer, Niedergeschlagenheit, depressive Simmungen – häufig eine wichtige Ursache für einen Suizid sind. Demnach ist Suizid ein Versuch der Problemlösung, wobei durch eine eingeschränkte Sichtweise andere Alternativen nicht in Betracht gezogen werden.
3) Präsuizidales Syndrom: Prinzipiell ist jeder Mensch gefährdet, suizidal zu werden, auch wenn es Risikogruppen gibt. Erwin Ringel formulierte aufgrund zahlreicher Untersuchungen das präsuizidale Syndrom: stark verengte Wahrnehmung, weitgehende Isolierung vom Freundeskreis, in der Regel gehemmte Aggressivität. Viele Suizide sind zudem angekündigt: “Ich möchte nicht mehr leben!”; “Alles wäre besser ohne mich!” Häufig machen Suizidale überraschende und unerklärliche Geschenke und trennen sich von ihren wertvollsten Besitztümern.
4) Prävention: Die wichtigste Intervention ist Kommunikation, das "In-Beziehung-Gehen", um den Suizidalen aus der Isolation zu holen und seinen verengten Blickwinkel zu erweitern, ihm Alternativen zum Tod aufzuzeigen, sein Bewußtsein dafür zu wecken, daß Suizidgedanken nicht Verrückt- oder Kranksein bedeutet, sondern Symptome schwerwiegender Konflikte und Beziehungsprobleme sind. Deshalb muß die Möglichkeit geschaffen werden, über Probleme und mögliche Lösungsstrategien zu sprechen, was z.B. Krisendienste und Telefonseelsorge anbieten.
M.E.
Literatur
Davison, G. C. & Neale, J. M. (1998). Klinische Psychologie. ( 5. Aufl.). Weinheim: Beltz, Psychologie Verlags Union.
Otzelberger, M. (1999). Suizid. Das Trauma der Hinterbliebenen. Berlin: Ch. Links Verlag.
Wetzel, H. (1988). Suizid. In R. Asanger & G. Wenninger (Hrsg.), Handwörterbuch der Psychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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