Agrargeschichte: Revolution in Zeitlupe
Weltweit und unabhängig voneinander haben die einstigen Jäger und Sammler die Vorteile der sesshaften Lebensweise entdeckt, sich Pflanzen herangezüchtet, um ihre Kornspeicher zu füllen, und Tiere als Fleisch-, Haut- und Milchlieferanten. Lange Zeit glaubten Wissenschaftler an einen verblüffend schnellen Wechsel des Lebensstils. Doch neuere Untersuchungen deuten auf einen eher gemächlichen Schritt auf dem Weg zum Bauern.
Unter dem Mikroskop von George Willcox wird Geschichte sichtbar: 10 500 Jahre alte Weizen-Ährchen aus dem türkischen Nevali Cori zeigen durch einen ausgefransten Rand an der Basis, dass sie sich nicht leicht gelöst haben aus der ursprünglichen Kornähre. Was der Pflanze ihre Nachwuchsplanung deutlich erschwerte, lag im Interesse ihrer menschlichen Zeitgenossen – sie mussten die begehrten Körner nicht mehr vom Boden aufklauben, sondern konnten sie direkt abschneiden oder -streifen. Bei anderen Weizen-Ährchen aus derselben Zeit und Gegend hingegen ist die basale Ansatzstelle rund und glatt, sie fielen, ganz im Sinne der Samenverbreitung, aber nicht der hungrigen Zweibeiner, leicht zu Boden.
Körniger Zeuge
Warum Geschichte? Weil der ausgefranste gegenüber dem runden Rand einen der wichtigsten Prozesse in der menschlichen Gesellschaft illustriert: Den Übergang vom Jäger-und-Sammler-Dasein zum züchtenden Acker- und Viehbauern, der gezielt Pflanzen und Tiere zu seinem Nutzen veränderte.
Immer mehr Hinweise auf frühe Felder finden Forscher bei Ausgrabungen – und eine erstaunliche Diversität. Mit zu den ersten Anbauprodukten zählt Roggen, der Überresten zufolge schon vor 13 000 Jahren im Zweistromland kultiviert wurde, bald gefolgt von Emmer, Einkorn, Gerste und Feigen. Reis und Hirse stehen seit 8000 Jahren auf asiatischen Äckern, und in Neuguinea genossen die Menschen schon vor 7000 Jahren Yams, Bananen und Taro.
Überall und zur selben Zeit
Und noch etwas ändert sich in der Forschersicht: Die neolithische Revolution, wie der Übergang von nomadischer zu sesshafter Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht auch genannt wird, verlief keineswegs revolutionär-radikal innerhalb weniger hundert Jahre oder sogar nur Jahrzehnten, wie Archäobotaniker unter anderem aus Computermodellen geschlossen hatten. "Sie konnten nicht innerhalb weniger Generationen von einer Wirtschaftsweise komplett auf eine andere umsatteln", ist Willcox überzeugt. "Dieser Prozess verlief nach und nach." Um genauer zu sein: über Jahrtausende.
"Ackerbau war keine Revolution", stimmt Douglas Kennett von der Universität von Oregon in Eugene zu. Molekularbiologische Daten zeigen immer häufiger, dass die frühen Bauern lange schlicht die Wildformen anbauten und gar nicht so gezielt wie vermutet gewünschte Eigenschaften herauszüchteten.
Revolution mit Handbremse
Einen guten Hinweis auf einen deutlich langsameren Prozess findet sich wiederum an den Ausgrabungsstädten in Syrien und Anatolien: Während im 10 500 Jahre alten Nevali Cori nur etwa zehn Prozent der Ährchen deutliche Domestikationsspuren zeigen, sind es im 8500 Jahre alten el-Kerkh 36 Prozent und tausend Jahre später im syrischen Kosak Shamali 64 Prozent [3]. Die Wildformen wurden also nur langsam durch die Zuchtvarianten ersetzt.
Bleibt noch die Frage: Was trieb die Menschen aus dem Nomadentum an heimischen Herd und Feld? Zunächst einmal mahnen Forscher auch hier zur Vorsicht:
Auffällig bleibt die zeitliche Übereinstimmung der ersten Anbauexperimente mit der Erwärmung des Klimas nach den Eiszeiten, die Landwirtschaft in seiner einfachsten Form wohl erst möglich machte. Ob Ursache oder Wirkung, auch das Zusammenfinden der Menschen in größeren Cliquen mit komplexeren Sozialsystemen, die sich beispielsweise im Aufkommen religiöser Symbolik zeigen, dürften den Umschwung in der Lebensweise gefördert haben – vielleicht auch der Wunsch, Wohlstand und Ansehen in einer Gemeinschaft auf neue Weise demonstrieren zu können. Alles in allem natürlich eine Revolution – aber entgegen früherer Ansichten wohl eher in Zeitlupe.
Körniger Zeuge
Warum Geschichte? Weil der ausgefranste gegenüber dem runden Rand einen der wichtigsten Prozesse in der menschlichen Gesellschaft illustriert: Den Übergang vom Jäger-und-Sammler-Dasein zum züchtenden Acker- und Viehbauern, der gezielt Pflanzen und Tiere zu seinem Nutzen veränderte.
"Sie konnten nicht innerhalb weniger Generationen von einer Wirtschaftsweise komplett auf eine andere umsatteln"
(George Willcox)
So stammten die Ährchen mit ausgefranster Basis unter dem Mikroskop des Archäobotanikers vom kultiviertem Weizen, während die zweite Portion der Wildform angehört. In den ersten landwirtschaftlichen Versuchsfeldern wuchsen beide noch eng nebeneinander [1]. (George Willcox)
Immer mehr Hinweise auf frühe Felder finden Forscher bei Ausgrabungen – und eine erstaunliche Diversität. Mit zu den ersten Anbauprodukten zählt Roggen, der Überresten zufolge schon vor 13 000 Jahren im Zweistromland kultiviert wurde, bald gefolgt von Emmer, Einkorn, Gerste und Feigen. Reis und Hirse stehen seit 8000 Jahren auf asiatischen Äckern, und in Neuguinea genossen die Menschen schon vor 7000 Jahren Yams, Bananen und Taro.
Mittel- und Südamerika galt diesbezüglich lange als Spätentwickler: Seit 5000 Jahren erst, so dachte man lange, nutzten die Einwohner dort fest angelegte Felder. Doch zeigen neuere Untersuchungen inzwischen für Mais ein Alter von bis zu 9000 Jahren ebenso wie für Pfeilwurz und vermutete 7000 Jahre für Kartoffeln. Eine Neudatierung von Funden aus Nordperu bestätigt zudem, dass Kürbis schon vor über 9000 Jahren, Erdnüsse vor fast 8000 und Baumwolle vor über 5000 Jahren angebaut wurden [2]. Da die Pflanzen ursprünglich aus anderen Regionen stammen, muss die Domestikation der Arten noch früher erfolgt sein, erklären Tom Dillehay von der Vanderbilt-Universität in Nashville und seine Kollegen. Ackerbau in der Neuen Welt hat damit ähnlich alte Wurzeln wie zwischen Euphrat und Tigris.
Überall und zur selben Zeit
Mit jedem Fund wandelt sich das Bild mehr. Überall auf der Welt kamen die Menschen offenbar etwa zur selben Zeit – vor 10 000 Jahren – auf die Idee ersten Gärtnerns. Mag der Fruchtbare Halbmond auch ein Zentrum dieser Entwicklung gewesen sein, von der sich die Neuentwicklung ausbreitete, er war beileibe nicht das einzige. Mindestens zehn solcher Domestikationskeimzellen unterscheiden Forscher inzwischen: Neben den bereits genannten kommen noch Südindien oder auch der Sahel dazu.
Und noch etwas ändert sich in der Forschersicht: Die neolithische Revolution, wie der Übergang von nomadischer zu sesshafter Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht auch genannt wird, verlief keineswegs revolutionär-radikal innerhalb weniger hundert Jahre oder sogar nur Jahrzehnten, wie Archäobotaniker unter anderem aus Computermodellen geschlossen hatten. "Sie konnten nicht innerhalb weniger Generationen von einer Wirtschaftsweise komplett auf eine andere umsatteln", ist Willcox überzeugt. "Dieser Prozess verlief nach und nach." Um genauer zu sein: über Jahrtausende.
"Ackerbau war keine Revolution", stimmt Douglas Kennett von der Universität von Oregon in Eugene zu. Molekularbiologische Daten zeigen immer häufiger, dass die frühen Bauern lange schlicht die Wildformen anbauten und gar nicht so gezielt wie vermutet gewünschte Eigenschaften herauszüchteten.
"Ackerbau war keine Revolution"
(Douglas Kennett)
Funde aus Israel belegen beispielsweise, dass die Bewohner dort womöglich schon vor über 20 000 Jahren aus Wildgetreide Mehl mahlten: "Wir müssen manche unserer langjährigen Annahmen über Bord werfen, wonach Menschen mit Beginn des Anbaus von Pflanzen diese direkt zu ihrem Nutzen zu verändern begannen", mahnt daher Dorian Fuller vom University College London. Außerdem tauschten die Pflanzen durch das enge Nebeneinander mit ihren wilden Verwandten wahrscheinlich noch über lange Zeit Gene miteinander aus, was eine schnelle Auseinanderentwicklung verhinderte. Womöglich nutzten die ersten Siedler damals Wildpflanzen auch weiterhin in Zeiten schlechter Ernten als Saatmaterial und förderten so selbst die anhaltende Durchmischung, so Willcox. (Douglas Kennett)
Revolution mit Handbremse
Einen guten Hinweis auf einen deutlich langsameren Prozess findet sich wiederum an den Ausgrabungsstädten in Syrien und Anatolien: Während im 10 500 Jahre alten Nevali Cori nur etwa zehn Prozent der Ährchen deutliche Domestikationsspuren zeigen, sind es im 8500 Jahre alten el-Kerkh 36 Prozent und tausend Jahre später im syrischen Kosak Shamali 64 Prozent [3]. Die Wildformen wurden also nur langsam durch die Zuchtvarianten ersetzt.
Bleibt noch die Frage: Was trieb die Menschen aus dem Nomadentum an heimischen Herd und Feld? Zunächst einmal mahnen Forscher auch hier zur Vorsicht:
"Wir müssen manche unserer langjährigen Annahmen über Bord werfen, wonach Menschen mit Beginn des Anbaus von Pflanzen diese direkt zu ihrem Nutzen zu verändern begannen"
(Dorian Fuller)
Der Fund domestizierter Pflanzen bedeute nicht zwangsläufig, dass die Menschen damit auch feste Siedlungen bauten und zum Dorfleben übergegangen waren. Gerade in der Neuen Welt hätten zwischen diesen beiden Ereignissen durchaus Jahrtausende gelegen, berichtet Bruce Smith von der Smithsonian-Institution. Er geht davon aus, dass in vielen Regionen nach den ersten Domestizierungserfolgen erst einmal eine lange Zeit der Ackerbau in Nebenerwerb stattfand, durch den die Jäger und Sammler ihren Speiseplan nach und nach ergänzten. (Dorian Fuller)
Auffällig bleibt die zeitliche Übereinstimmung der ersten Anbauexperimente mit der Erwärmung des Klimas nach den Eiszeiten, die Landwirtschaft in seiner einfachsten Form wohl erst möglich machte. Ob Ursache oder Wirkung, auch das Zusammenfinden der Menschen in größeren Cliquen mit komplexeren Sozialsystemen, die sich beispielsweise im Aufkommen religiöser Symbolik zeigen, dürften den Umschwung in der Lebensweise gefördert haben – vielleicht auch der Wunsch, Wohlstand und Ansehen in einer Gemeinschaft auf neue Weise demonstrieren zu können. Alles in allem natürlich eine Revolution – aber entgegen früherer Ansichten wohl eher in Zeitlupe.
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