Virunga-Nationalpark: Afrikas Kronjuwel in Gefahr
Verteilt unter den Bäumen eines schattigen Hügels in der kongolesischen Ortschaft Rumangabo stehen elf Holzkreuze. Die Gräber darunter sind mit Laub bedeckt, und durch die Bäume über ihnen weht eine leichte Brise. Die in das Holz geschnitzten Namen und Zahlen haben eines gemeinsam – sie stammen alle aus dem Jahr 2007. Der Hügel ist nur wenige Meter entfernt von einem Verwaltungsgebäude des Virunga-Nationalparks und symbolisiert gleichermaßen die Geschichte wie auch die Bedrohung des Naturschutzgebiets im Osten der Demokratischen Republik (DR) Kongo.
Auf diesem kleinen Friedhof liegen keine Menschen, sondern Berggorillas – eine Unterart der Östlichen Flachlandgorillas, die insgesamt vom Aussterben bedroht ist. Sie starben zu einer Zeit, in der Gewalt und Gier nach Ressourcen Naturschutz in der Region hoffnungslos gemacht hatten: 2007 hatte die Regierung des Kongos die Kontrolle über den Mikeno-Sektor des Parks, in dem seinerzeit nur noch 75 Berggorillas lebten, an Rebellen verloren. Neben den Rebellen organisierten zusätzlich Kriminelle den illegalen Abbau und Handel von Bauholz und besonders Holzkohle. Internationale Aufmerksamkeit für die Berggorillas kam dieser Kohlemafia ungelegen – deswegen mussten die Tiere sterben. Doch der Schock, den das Massaker unter Wildhütern und den Menschen verursachte, löste vielmehr eine Gegenreaktion aus, die Virunga eine Überlebenschance gab.
Der Virunga-Nationalpark ging 1969 aus der Teilung des Albert-Nationalparks in einen kongolesischen und einen ruandischen Teil hervor. Der schon 1925 vom damaligen belgischen König und Kolonialherrscher Albert I. gegründete Vorgängerpark war der älteste des Kontinents. Auf rund 8000 Quadratkilometern, einer Fläche vergleichbar mit der Mittelmeerinsel Kreta, erstreckt sich Virunga Nationalpark auf einer Nord-Süd-Länge von 400 Kilometern im Dreiländereck DR Kongo, Ruanda und Uganda. Die sehr unterschiedlichen Höhenlagen des Parks mit verschiedenen Niederschlagszonen und seine Nähe zum seismisch aktiven Ostafrikanischen Graben geben dem Park eine ganz besondere Vielseitigkeit an Lebensräumen. Tropische Wälder, Savannen, Marschland, Seen, Lavafelder, Gletscher und sogar zwei aktive Vulkane beherbergen Afrikas größte Artenvielfalt und machen Virunga zu einem Paradies für Naturliebhaber.
Instabile politische Lage bedroht auch Tiere
Hier befinden sich rund 40 Prozent aller Tier-und Pflanzenarten des Kontinents. Neben Primaten wie den Berggorillas, den Östlichen Flachlandgorillas und Schimpansen leben in Virunga weitere seltene und populäre Arten wie die Zentralafrikanischen Löwen, die mysteriösen Okapis, Kongo-Pfauen, Schwarzbüffel und Flusspferde an den Ufern des Edwardsees. Deswegen ist der Park seit 1979 Weltnaturerbe der UNESCO – jedoch wird er seit 1994 auch auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes geführt.
Denn genauso instabil wie die Geologie seiner Vulkane ist auch die politische Lage in und um Virunga. 1994 verursachte der Völkermord im unmittelbar an den Park grenzenden Ruanda eine geopolitische Kettenreaktion, die bis heute besonders im Osten des Kongos nachwirkt. Der grenzüberschreitende Konflikt hat seitdem rund sechs Millionen Menschenleben gekostet. Die Wälder Virungas bieten sowohl heimischen Flüchtlingen und Milizen als auch jenen aus den Nachbarländern Versteck und Ressourcen. So wird geschätzt, dass immer noch etwa 90 000 Menschen illegal im Park siedeln.
Hinzu kommen vier Millionen durch den Konflikt verarmte Menschen im Grenzgebiet zu dem Naturschutzgebiet. »Der Park ist bedroht«, bestätigt ein Vertreter der Organisation Save Virunga und ergänzt: »Dorfbewohner, Fischer und Wildhüter zahlen für die Instabilität mit ihrem Leben.« Nicht weniger als zwölf bewaffnete militärische Fraktionen machen Virunga unsicher. Machtverhältnisse und Dynamiken zwischen den Gruppen ändern sich ständig. »Im Moment sind wir besonders besorgt über die drei Hauptmilizen: die ruandische FDLR im Süden, die kongolesischen Mai-Mai im Parkzentrum und die ugandische ADF im Norden«, erläutert Virungas belgischer Parkdirektor Emmanuel de Merode. Solche Gruppen halten sich vor allem auch deswegen so hartnäckig im Park, weil seine Ressourcen den Milizen Einnahmen verschaffen. »Es geht um die Holzkohle aus Virungas Wäldern oder die Fische aus dem Edwardsee. Solch illegale Ausbeutung beschert diesen Gruppen jährliche Einnahmen in Millionenhöhe«, so de Merode.
»Wilderei, illegaler Fischfang, Holzfällerei und Holzkohleproduktion vor dem Hintergrund löchriger Grenzen haben das Virunga-Grenzgebiet zu einer beliebten Route für Elfenbeinschmuggel und anderen illegalen Handel gemacht«Fidele Ruzigandekwe
2010 bezifferte der Sicherheitsrat der UN den jährlichen Wert des Kohlehandels im gesamten Kongo auf schätzungsweise 28 bis 30 Millionen US-Dollar. »Holzkohle im Wert von zirka vier Millionen US-Dollar wird dabei jährlich allein aus dem Osten des Kongo über die dortigen Grenzen weggeschafft«, erläutert Fidele Ruzigandekwe. Er repräsentiert die Greater Virunga Transbounderary Collaboration (GVTC), ein Forum der insgesamt sieben kongolesischen, ruandischen und ugandischen Naturschutzgebiete im Virunga-Ökosystem. »Obwohl die Ressourcen dieser Region viele Chancen eröffnen sollten, schaffen sie im Moment vor allem Konflikte. Wilderei, illegaler Fischfang, Holzfällerei und Holzkohleproduktion vor dem Hintergrund löchriger Grenzen haben das Virunga-Grenzgebiet zu einer beliebten Route für Elfenbeinschmuggel und anderen illegalen Handel gemacht«, so Ruzigandekwe.
Auch das Berggorilla-Massaker von 2007 ging auf die illegale Holzkohleproduktion zurück. Die Täter folgerten, dass weniger Gorillas weniger internationale Aufmerksamkeit bedeute. Zudem sollten die Parkwächter demoralisiert werden. Der Plan ging nicht auf. Fotos von den Wildhütern gingen um die Welt: Sie hatten den toten Gorillas Tragen geflochten und diese in einer stummen, fast religiös anmutenden Prozession über sieben Stunden lang zur Parkverwaltung in Rumangabo getragen. Dort liegen nun die hingerichteten Mitglieder der Rugendo-Familie bei ihrem Patriarchen, dem Silberrücken Senkwekwe, mit anderen in diesem Jahr getöteten Gorillas auf dem kleinen Friedhof.
Als sich die Lage danach weiter verschlechterte, reagierte die kongolesische Naturschutzbehörde ICCN (Institut Congolais pour la Conservation de la Nature) und ernannte 2008 den Belgier de Merode zum Parkdirektor. Schon 2005 hatte die Europäische Kommission der finanzschwachen Demokratischen Republik Kongo ein Konzept vorgelegt, um den Nationalpark in eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen ICCN und der britischen NGO African Conservation Fund zu überführen. Seit 2010 hat der African Conservation Fund die Federführung in den Geschicken Virungas, seit 2014 seine Nachfolgeorganisation, die Virunga Foundation, die erheblich aus EU-Mitteln finanziert wird.
Sorge vor kolonialistischen Machtstrukturen
Unter der Führung de Merodes und durch die Finanzierung über die Virunga Foundation verbesserte sich die Sicherheit im Park. Mehr Wildhüter wurden engagiert und erhielten militärisches Training von europäischen Ausbildern. Inzwischen patrouillieren rund 730 solcher Ranger Virunga Nationalpark. Vor 2014 waren es weniger als 300. Dem gegenüber stehen nach UN-Schätzungen aber immer noch rund 8000 Milizen im Osten des Kongos. Dennoch ließ die Gewalt zumindest direkt im Park nach. 2014 hatte sich die Lage gar sogar so weit stabilisiert, dass sich der Park zum ersten Mal seit den frühen 1990er Jahren im damaligen Zaire wieder für den Tourismus öffnete.
Die Ernennung de Merodes und der nun deutliche Einfluss der Virunga Foundation auf die Geschicke des Parks hat dessen Kontrolle dabei in eine westlich-europäische Richtung verlagert. Auch der amerikanische Philantropist Howard G. Buffet, ein Sohn des Milliardärs Warren Buffet, hat erhebliche Summen in den Park investiert, besonders in dessen Wasserkraftwerke. Solche finanzielle Entwicklungen haben allerdings auch bei manchen Kongolesen, die vor Ort leben, einen Eindruck wiedererstarken lassen, der noch aus der belgischen Kolonialzeit stammt, wonach im Park vor allem westliche Ausländer das Sagen hätten.
Geboren in Tunesien und aufgewachsen in Kenia, hat Emmanuel de Merode allerdings eine lebenslange Verbindung zu dem Kontinent. Der in Großbritannien ausgebildete biologische Anthropologe kam 1993 in das damalige Zaire, um sich für seine Doktorarbeit mit dem illegalen Buschfleischhandel des Landes zu befassen. Danach arbeitete er mit den Wildhütern Virungas als Mitglied der Organisation WildlifeDirect, die von seinem Schwiegervater, dem berühmten kenianischen Paläoanthropologen Richard Leakey, gegründet worden war. Den Adelstitel als Fürst führt der Belgier im Kongo nicht und sieht auch sonst keine Schwierigkeiten mit der komplizierten Geschichte zwischen belgischem Adel und dem Schicksal des afrikanischen Landes. »In 25 Jahren (im Kongo) habe ich keinen einzigen Moment erlebt, in dem ich mich aus diesem Grund hier unwillkommen fühlte«, sagt der Belgier.
Bedrohung Erdöl
Die härteste Bewährungsprobe musste de Merode schon bald nach seiner Amtsübernahme bestehen, als internationale Konzerne zunehmendes Interesse zeigten, in Virunga nach Erdöl zu suchen. 2010 unterzeichnete die kongolesische Regierung ein Abkommen, das dem britischen Unternehmen Soco erlaubte, in fast der Hälfte des Nationalparks nach Öl zu suchen, inklusive des Edwardsees. Sowohl Naturschützer als auch Politikexperten waren schockiert. Sie fürchteten Umweltzerstörung, Ölverschmutzung im Edwardsee sowie noch größere politische Destabilisierung. Die International Crisis Group warnte in einem Report besonders vor Rebellengruppen, die versuchen könnten, den Ölhandel zu kontrollieren.
De Merode verwies zusätzlich auf mangelnde Rechtsgrundlagen, denn das Abkommen widersprach seiner Auffassung nach sowohl kongolesischen als auch internationalen Naturschutzgesetzen für das Weltnaturerbe. Dennoch begann Soco in den Folgejahren systematisch, eine Präsenz im Park zu etablieren, und scheute dabei nicht vor Bestechung und Einschüchterung zurück, wie zahlreiche erbrachte Beweise, zum Beispiel der New York Times, zeigen.
Als die Parkverwaltung eine Dokumentarfilm-Produktion des Streamingdienstes Netflix über die Lage in Virunga unterstützte, eskalierte die Situation. Am 15. April 2014, zwei Tage vor der Premiere des Films, geriet de Merode während der Fahrt von der Provinzhauptstadt Goma in sein 45 Kilometer entferntes Hauptquartier in Rumangabo in einen Hinterhalt. Unbekannte Schützen eröffneten das Feuer auf de Merodes Fahrzeug, trafen ihn viermal in den Oberkörper. Der Parkdirektor schoss zurück, entkam schwer verletzt und überlebte. Die Hintergründe des Attentats konnten nie aufgeklärt werden. Noch während de Merode sich in einem Krankenhaus in Nairobi erholte, begann Soco Anfang Mai des Jahres mit seismischen Tests am Boden des Edwardsees.
Attentat gegen Parkdirektor
Veröffentlichung und Oscar-Nominierung der Netflix-Dokumentation brachten die Wende. Eine empörte Weltöffentlichkeit, UNESCO, EU, das britische, deutsche und zahlreiche andere Parlamente erhöhten den Druck auf Soco so sehr, dass der Konzern seine Lizenz 2015 auslaufen ließ. »Für mich steht es außer Zweifel, dass ohne den Netflix-Film der Park heute nicht mehr existieren würde«, bekräftigt de Merode, der nach eigenen Bekunden auch nach dem Attentat nie ans Aufhören dachte.
Was folgte, war eine Erholungsphase, in der sich sogar ein wenig Tourismus in Virunga etablieren konnte. Besonders das Interesse der Reisenden an Virungas Berggorillas hat dem Park sowohl Devisen gebracht als auch die Lage der Tiere verbessert. Dabei ist für Besucher besonders der deutlich niedrigere Preis für Gorilla-Trekking im Kongo verglichen mit dem benachbarten Vulkan-Nationalpark in Ruanda ein Argument, die Risiken in Kauf zu nehmen.
»Wenn Parkhüter versuchen, diese Ressourcen zu schützen, werden die Milizen feindselig und greifen unsere Mitarbeiter an«Emmanuel de Merode
2018 nahmen die Probleme wieder zu. Der Präsidentschaftswahlkampf im Land erhöhte Spannungen, die Milizen erstarkten von Neuem. »Die Gewalt war niemals ganz verschwunden, doch sie erreicht immer Höhepunkte, wenn Wahlen anstehen«, sagt ein Save-Virunga-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden will. Die Milizen versuchten erneut, ihre Kontrolle über die Ressourcen des Parks zu erhöhen und damit ihr Einkommen zu verbessern. »Wenn Parkhüter versuchen, diese Ressourcen zu schützen, werden die Milizen feindselig und greifen unsere Mitarbeiter an«, erläutert de Merode. 2018 stand für einen traurigen Rekord, denn zwölf Wildhüter kamen um.
In den vergangenen 20 Jahren ließen insgesamt 180 Ranger ihr Leben. »Es gab eine ganze Reihe von tragischen Momenten im vorigen Jahr, aber der Tod von sechs unserer Ranger in einem Hinterhalt im März war sicher der schwerste Augenblick«, sagt de Merode. Als im Mai zwei englische Touristen von der Mai-Mai-Miliz entführt wurden und Wildhüterin Rachel Baraka beim Versuch, diese zu beschützen, starb, zog de Merode die Konsequenzen: »Wir konnten die Touristen befreien, aber kamen zu dem Schluss, dass wir unsere Sicherheit massiv aufstocken mussten und den Park deswegen schließen sollten, bis wir dies erreicht hatten.« Die finanziellen und moralischen Folgen für die Parkverwaltung waren laut de Merode schrecklich: »Wir benötigen etwas mehr als zehn Millionen Dollar pro Jahr für den Park. Davon sollen Tourismus und der Verkauf von Elektrizität durch unsere Wasserkraftwerke eigentlich die Hälfte abdecken.«
Im Juni 2018 verkündete Emmanuel Kayumba, Stabschef im kongolesischen Ölministerium, zudem, dass die Regierung eine Kommission zusammenstellen werde, die erneut das Ziel verfolgen solle, Ölbohrungen in Virunga zu ermöglichen. Die Idee sei, 1700 Quadratkilometer der Fläche Virungas als Naturschutzgebiet zu deklassifizieren, also auszugliedern. Das entspräche fast 22 Prozent des kompletten Parks. »Diese Pläne würden einen gewaltigen Effekt auf Tierwelt, Lebensraum, Artenvielfalt und Dorfgemeinschaften haben. Wer einem Teil Virungas schadet, gefährdet das gesamte Ökosystem«, warnt Save Virunga.
Waisenhaus für Gorillas
Die Organisation ist zudem besorgt, dass die Erschließung von Erdöl auf der ugandischen Seite des Edwardsees solche Pläne im Kongo vorantreiben könnte. Wenn es in Uganda bald Pipelines und Raffinerien gebe, könne das schnell die Idee wecken, auch von dem kongolesischen Ufer des Sees aus von dieser Infrastruktur profitieren zu wollen. Emmanuel de Merode verweist unterdessen darauf, dass diese Vorschläge noch keine beschlossene Regierungspolitik seien. Zudem hatten die Wahlen zum Jahreswechsel zu einem Machtwechsel im Land geführt – die neue Energiepolitik ist bislang nicht beschlossen. »Trotzdem müssen wir weiterhin unsere Argumente stärken, dass es bessere und sauberere Alternativen zum Erdöl gibt«, so der Parkdirektor.
Doch es gab auch Lichtblicke im vergangenen Jahr. Nach der Tragödie von 2007 errichtete der Park ein Waisenhaus für Gorillas in Rumangabo. Die erste Bewohnerin des Senkwekwe-Centers, benannt nach dem ermordeten Silberrücken, war Ndakasi, eine seiner Töchter. Als die Wildhüter das Gorillababy seinerzeit vom Rücken ihrer per Kopfschuss hingerichteten Mutter nahmen, wusste niemand, ob das schwache und verängstigte Geschöpf überleben würde. Heute ist Ndakasi eine selbstbewusste Erwachsene, die mit ihren Streichen die Pfleger auf Trab hält. Ihre Geschichte steht für das Comeback der Berggorillas in der Region.
Bis Mitte 2018 suchten zwölf Teams der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) im Habitat der Berggorillas, das sich über nur noch 792 Quadratkilometer im grenzüberschreitenden Virunga-Massiv und Bwindi-Sarambwe-Park erstreckt, nach Lebenszeichen der Tiere. Die Experten errechneten dabei, dass die Zahl der Berggorillas auf über 1000 angestiegen ist – verglichen mit 680 bei der letzten Erhebung im Jahr 2008. Davon lebt etwa ein Drittel im Virunga-Nationalpark. Dort erlebten 2018 allein die Gorillas des Mikeno-Sektors elf Geburten. »Der Anstieg geht auf effektive Tierschutzstrategien zurück«, betont Anna Behm Masozera, Direktorin des International Gorilla Conservation Programmes. »Diese wurde über Landesgrenzen hinweg koordiniert und bestanden aus Strafverfolgung, reguliertem Tourismus, täglichem Schutz, veterinärmedizinischer Betreuung vor Ort und der Einbindung von Dorfgemeinschaften«, ergänzt die Primatenforscherin. Im Virunga-Nationalpark werden laut de Merode 30 Prozent der Einnahmen aus dem Gorillatourismus in lokale Sozialprojekte in den Dörfern investiert.
Gorillas »nur« noch stark gefährdet
Angesichts dieser Stabilisierung hat die IUCN die Gefährdung der Berggorillas von »vom Aussterben bedroht« (critically endangered) auf »stark gefährdet« (endangered) zurückgestuft. Aber Grund für Entwarnung gibt es nicht. »Das sind zwar fantastische Neuigkeiten, doch die Tiere sind immer noch gefährdet und Schutzmaßnahmen müssen daher weitergeführt werden«, sagt Liz Williamson von der IUCN-Spezialistengruppe für Primaten. Ihre Kollegin Behm Masozera betont: »Die Untergruppen der Berggorillas sind nach wie vor sehr klein und können durch Krisen schnell reduziert werden.« Es sei deswegen vor allem wichtig, deren Lebensraum zu schützen. Bei der Erhebung von 2018 hatten die IUCN-Teams auf der Suche nach den Berggorillas rund 400 Schlingfallen entdeckt. In einer war auch ein Gorilla ums Leben gekommen.
Zudem verweist Christina Ellis vom Jane Goodall Institute darauf, dass bei all der internationalen Begeisterung für Berggorillas die Nöte anderer Primaten in Virunga oft vergessen werden. »Am Westrand des Parks leben ebenfalls Schimpansen und Östliche Flachlandgorillas. Bejagung durch Menschen ist für diese Affen eine primäre Bedrohung.« Außerdem reduziere die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Anbauflächen den Lebensraum für alle Primaten.
Eine Studie der University of Maryland, die im November in der Fachpublikation »Science Advances« veröffentlicht wurde, belegt durch die Analyse von Satellitenbildern, dass das Kongo-Becken, das sich von der Zentralafrikanischen Republik bis in den Norden Sambias erstreckt, zwischen 2000 und 2014 rund 165 000 Quadratkilometer Waldfläche verloren hat. Das entspricht mehr als der Fläche Tunesiens. Das Papier gibt an, dass dabei 84 Prozent dieser Verluste durch Waldrodung für Selbstversorgerlandwirtschaft zurückgingen. Für die DR Kongo allein steige diese Quote sogar auf über 90 Prozent. Die Gruppe Global Forest Watch hat für den Virunga-Nationalpark zwischen Mai und September 2018 auf Satellitenbildern einen Waldverlust von 680 bis 1100 Hektar ausgemacht. »Und zwischen Oktober 2018 und Mitte Januar 2019 verschwanden noch einmal zusätzlich 200 Hektar«, sagt Global-Forest Watch-Vertreterin Katie Fletcher. »Auch hier geht es um Rodungen für Selbstversorgerlandwirtschaft und um Holzkohleproduktion«, so Fletcher.
Freiwillige Umsiedlungen mit vorgehaltener Waffe
Experten warnen jedoch vor einer Verteufelung jener Menschen, die wegen ihrer Armut in das Gebiet des Parks eindringen und dort roden. »Diese Ortsgemeinschaften sind seit über 20 Jahren Opfer von Konflikt und Instabilität. Dadurch haben sie auf Überlebensmodus geschaltet und ihre Verbundenheit mit der Umwelt verloren«, betont Save Virunga. Der Park werde entweder als eine Ressource gesehen, die zum Lebensunterhalt genutzt werden müsse oder als Bedrohung, weil hier bewaffnete Milizen lagerten.
Virunga Nationalpark hat eine insgesamt gut 900 Kilometer lange offene Grenze zu den Nachbargebieten. An den Park mit seinem extrem fruchtbaren Boden grenzen stark verarmte Gemeinschaften. »Und in der Wahrnehmung vieler Anwohner ist der Grenzverlauf zum Park zudem oft nicht einmal klar definiert und ändert sich«, betont Judith Verweijen, Politologin an der University of Sussex. Die Konfliktforscherin ist im Januar von einer ihrer zahlreichen Recherchereisen in den Osten des Kongos zurückgekehrt und berichtet von »spürbaren Spannungen« zwischen den Dorfgemeinschaften um Virunga und den Parkhütern. »Manche dieser Menschen beharren darauf, dass ihnen in der Vergangenheit entweder finanzielle Kompensierung für die Aussiedlung aus dem Park oder auch Sozialeinrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser versprochen worden waren, teilweise sogar noch von den belgischen Kolonialherren. Da diese Versprechen nicht eingehalten wurden, sagen sie nun, dass es aus ihrer Sicht nicht illegal sei, hier Landwirtschaft zu betreiben«, so Verweijen.
Allein von 2003 an wurden schätzungsweise 180 000 Menschen im Rahmen eines Freiwilligenprogramms vom ICCN aus dem Park ausgesiedelt. Jedoch berichtet der Schweizer Politologe Kai Schmidt-Soltau, der auch für die Weltbank tätig ist, dass solche angeblich freiwilligen Umsiedlungen zumindest teilweise »mit vorgehaltener Waffe« stattgefunden hätten.
»Aufmerksamkeit für die Nöte der Menschen, die um die Naturschutzgebiete herum leben, stören bei solchen Geschichten zumeist nur«Judith Verweijen
Auch jetzt beobachtet Verweijen harsche Vorgehensweisen gegenüber Menschen, die im Parkgebiet Anbau betreiben. Ernten würden ohne jegliche Vorwarnung zerstört, die Parkhüter seien oft brutal und hochmütig zu den Menschen. »Es wäre falsch, die guten Absichten und Aufopferungsbereitschaft der Parkverwaltung in Frage zu stellen. Viele Parkwächter haben für Virunga ihr Leben gegeben. Aber wir haben Zweifel hinsichtlich ihrer gegenwärtigen Vorgehensweisen«, schreibt Verweijen mit ihrer Kollegin Esther Marijnen von der Konfliktforschungsgruppe der Universität Gent in einer Analyse. Es finde eine zunehmende Verschmelzung von Naturschutz und Aufstandsbekämpfung statt, der die einfachen Menschen zurück in die Arme der Milizen treiben könne – ein Phänomen, das in anderen Ländern auch im Zusammenhang mit Wilderei bekannt ist und als »grüne Militarisierung des Naturschutzes« beschrieben wird.
Gängige Erzählweisen schrieben die Gründe der Gewalt zumeist einfach der Ressourcenausbeutung oder der Wilderei zu. Es gehe um den Konflikt zwischen bösen Rebellen oder Wilderern und guten Wildhütern. »Aufmerksamkeit für die Nöte der Menschen, die um die Naturschutzgebiete herum leben, stören bei solchen Geschichten zumeist nur«, so die Forscherinnen.
»Grüne Militarisierung allein kann Nationalparks nicht schützen und kann sogar kontraproduktiv sein«, räumt auch Emmanuel de Merode ein. Er betont, dass der Erfolg von Naturschutzgebieten von den umliegenden Gemeinden abhänge, was wiederum die Frage aufwerfe, welchen Nutzen und welche Ressourcen diese von den Parks und ihrer Umgebung erhalten. »Dennoch muss der Gebrauch dieser Ressourcen durch das Gesetz reguliert werden. Und das Gesetz muss aufrecht erhalten werden. Das ist eine Feststellung, keine Meinung«, bekräftigt de Merode.
Um die Herzen und Köpfe der Menschen zu erreichen, setzt Virungas Parkverwaltung auf Wasserkraft. In der DR Kongo haben nur 15 Prozent der rund 80 Millionen Einwohner Zugang zu Elektrizität, in der besonders armen Region um Virunga sogar nur drei Prozent. Es wird fast ausschließlich mit Holzkohle gekocht und geheizt. Die Initiativen des Parks wollen Wasserkraft als Alternative etablieren und damit gleich mehrere Ziele erreichen: Umweltzerstörung und Armut zurückzudrängen und dem Park durch den Verkauf von Elektrizität zusätzliches Einkommen zu verschaffen. »Es ist sicher eine Illusion zu denken, dass wir Holzkohle als Hauptenergiequelle für die verarmten Menschen der Region völlig durch Wasserkraft ersetzen können. Aber langfristig könnten wir zumindest wohlhabenderen Gruppen andere Energien anbieten und damit den Gesamtverbrauch von Holzkohle reduzieren«, sagt Ephrem Balole, Vorsitzender von Virunga Energy, ein aus der Parkverwaltung ausgegliedertes autonomes Unternehmen, das die Verwaltung und den Bau der Wasserkraftwerke in Virunga übernimmt. Im Moment existieren zwei solcher Werke mit einer Gesamtleistung von etwas unter 14 Megawatt, die mit europäischen und amerikanischen Geldern errichtet wurden. Zwei weitere sind für dieses Jahr geplant.
Durch Elektrizität sollen so Unternehmen angelockt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Bis 2022 könnten dadurch in und um Virunga 100 000 Arbeitsplätze entstehen. Nach Angaben der Parkverwaltung existierten im Moment rund 16 000 Jobs, die entweder direkt oder indirekt der Existenz des Parks zu verdanken seien. Außerdem würden fünf bis acht Prozent neuer Jobs von ehemaligen Rebellen angenommen. Nach dieser Rechnung der Parkverwaltung würde das angestrebte Ziel von 100 000 Jobs den Milizen jegliches Rekrutierungspotenzial nehmen.
Solche Zahlenspiele sind Judith Verweijen jedoch zu optimistisch: »Das Ziel ist ja auch, dass der Park sich zu großen Teilen selbst finanziert. Dafür benötigt er einen Profit, aber der hilft den armen Menschen nicht. Sie haben keine Ausbildung, und die ist nötig für solche Jobs. Das bedeutet, dass eine Mehrheit solche Vorteile auch weiter nicht verspüren wird«, so die Niederländerin. Sie und ihre Kollegin Marijnen zweifeln weiter eine »Rhetorik des dreifachen Nutzens« an, in der Naturschutz, Entwicklungshilfe und Konfliktbefriedung in Virunga alle genau in dieselbe Richtung zielten und dabei einander voranbringen.
Trotz aller Probleme hofft die Parkverwaltung indes auf ein friedliches Jahr. »Wir haben unsere Sicherheit massiv verbessert und öffnen den Park ab Februar wieder für Besucher«, sagt de Merode. Doch auch ihm ist klar, dass die Zukunft des Parks von der politischen Stabilität des Kongo abhängen wird.
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