Direkt zum Inhalt

Jahresrückblick: Vom Neckar zum Mond

Das Jahr 2007 neigt sich dem Ende - ein Jahr, in dem Archäologen und Historiker spannende Erkenntnisse zu Tage bringen oder an wichtige historische Marksteine erinnern konnten. Die Palette reicht von einem Heidelberger Urmenschen bis zum Mann im Mond.
<i>Homo heidelbergensis</i>
Runde Geburtstage, Todestage, Gedenktage – das Jahr 2007 hatte hier einiges zu bieten. Ein besonderes Ereignis, das am 21. Oktober gewürdigt wurde, führt uns zu einem kleinen Ort namens Mauer bei Heidelberg vor einem Jahrhundert – und von hier aus über eine halbe Million Jahre weiter zurück. "Heit haw ich de Adam g'funne!", soll im Jahr 1907 ein gewisser Daniel Hartmann, seines Zeichens Tagelöhner in einer Sandgrube, stolz verkündet haben.

Gedenkstein | An der Fundstelle des Homo heidelbergensis in der Grube Grafenrain wurde 1907 ein Gedenkstein errichtet, der heute längst wieder tief unter der Erde verborgen liegt. Das Foto zeigt den Grubenpächter Josef Rösch (2. von links stehend) sowie den Finder Daniel Hartmann (rechts sitzend).
"Adam" war es wohl nicht, doch der Fund – ein menschlicher Unterkiefer – sollte zu einem Markstein der noch jungen Paläoanthropologie werden: "Homo heidelbergensis" taufte ihn ein Jahr später der Heidelberger Paläoanthropologe Otto Schoetensack. Vor schätzungsweise 600 000 Jahren streifte der Heidelberg-Mensch durch die damalige Neckar-Landschaft. Nach dem Neandertaler – der letztes Jahr seinen 150. "Geburtstag" feiern konnte – war dies der zweite Urmenschenfund, der nicht zu unserer Art Homo sapiens zählt.

Im verstrichenen Jahrhundert legte H. heidelbergensis eine erstaunliche wissenschaftliche Karriere zurück: Galt er lange nur als Unterart des Globetrotters Homo erectus, wird ihm heute der Artstatus kaum noch verwehrt. Manche Anthropologen erklären ihn sogar zur Stammart von uns – dem anatomisch modernen Menschen Homo sapiens, der in Afrika seine ersten Schritte wagte.

Gene aus alten Knochen

Ziemlich sicher sind sich die Forscher, dass in Europa der immer noch weitaus berühmtere Neandertaler das Erbe des Heidelbergers übernahm. Inzwischen mischen sich zunehmend auch Genetiker in die 150-jährige Knochenanalyse ein. Besonders die Arbeitsgruppe um den Leipziger Max-Planck-Forscher Svante Pääbo – die sich nichts weniger vorgenommen hat, als das komplette Genom von Homo neanderthalensis zu entziffern – konnte dieses Jahr wichtige Erkenntnisse vorweisen.

So scheint unser Vetter aus der Eiszeit durchaus der Sprache mächtig gewesen zu sein: Das Gen FOXP2, das bei der Artikulation und dem Verstehen des gesprochenen Wortes eine wichtige Rolle spielt, ist bei H. sapiens und H. neanderthalensis identisch. Damit konnten die Leipziger Forscher lang gehegte Vermutungen über die sprachlichen Fähigkeiten des Neandertalers bestätigen.

Rothaariger Neandertaler und moderner Mensch | Ein Blick in die Vergangenheit: Eine Genversion lässt vermuten, dass Neandertaler – wie auch mancher Vertreter des heutigen Homo sapiens - rothaarig und hellhäutig waren.
Über seine äußere Erscheinung spekulierten die Paläogenetiker ebenfalls: Beim Gen mc1r, das die Produktion von Hautpigmenten kontrolliert, spürten sie eine Neandertaler-Version auf, die zu einer geringeren Melanin-Bildung führt. Schlussfolgerung: Zumindest ein Teil der Neandertaler-Population könnte mit heller Haut und roter Haarpracht gesegnet gewesen sein.

Die Genetik half auch, anthropologische Streitfragen zu klären. Demnach war nicht nur der "Junge von Teshik Tash", der vor 38 000 Jahren im heutigen Usbekistan das Zeitliche segnete, ein echter Neandertaler, sondern auch ein umstrittener Fund aus der Okladnikov-Höhle im Altai-Gebirge Südsibiriens gehörte wohl zu dieser Menschenspezies. Dass die Neandertaler derart weit nach Osten vorgedrungen waren, hatten Paläontologen bis dato kaum für möglich gehalten.

Artefakte von Kostenki | Knochen- und Elfenbeinartefakte von Kostenki: Das Gebilde in der Mitte wird als unvollendet gebliebene menschliche Figur interpretiert. Die bis zu 45 000 Jahre alten Funde zeigen, dass Homo sapiens bereits sehr früh die russische Ebene besiedelt hat.
Ganz allein war er wohl in den Weiten des Ostens nicht. 45 000 Jahre alte Knochen- und Elfenbeinartefakte, die in Russland am Don gefunden worden sind, deuteten Anfang dieses Jahres Forscher als Gegenstände des Homo sapiens – der vielleicht von hier aus nach Westeuropa vordrang.

Ein anthropologischer Streit der besonderen Art blieb uns auch dieses Jahr nicht erspart – an Homo floresiensis, dem Sensationsfund des Jahres 2004, scheiden sich nach wie vor die Geister: War der Zwerg, der bis vor 10 000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores weilte, wirklich eine eigene Spezies oder lediglich ein krankhaft veränderter Homo sapiens? Anatomische Untersuchungen des Handgelenks unterstützen nun die Anhänger der Arthypothese – dürften aber die Gegenseite wohl kaum überzeugen.

Revolution nach der Sintflut

Gestritten wird auch über die Frage, wie Ackerbau und Viehzucht in Europa Einzug hielten. Eine für Naturwissenschaftler überraschend klingende Antwort hatte ein britisch-australisches Team dieses Jahr parat: Es war die Sintflut! Die Wissenschaftler vermuten, dass vor 8300 Jahren das Becken des heutigen Schwarzen Meeres – in dem damals ein Süßwassersee lag – plötzlich von Wassermassen aus dem Mittelmeer überflutet wurde. Die hier lebenden Bauern flohen in das kulturell unterentwickelte Europa, deren Bewohner noch als Jäger und Sammler durch die Wälder streiften – und lösten hier die "neolithische Revolution" aus.

Erdnuss | Diese Erdnussschale aus Nordperu ist 7600 Jahre alt.
Dass dieser Umbruch gar nicht so revolutionär war, betonten im Juni Archäobotaniker aus Frankreich und den USA: Überreste von Nutzpflanzen deuten darauf hin, dass die Erfindung der Landwirtschaft an mehreren Orten auf der Erde parallel vonstattenging, dafür aber nur allmählich umgesetzt wurde.

Revolution oder nicht, der Kulturschub schlug sich sogar im Erbgut des Menschen nieder – womit einmal wieder Genetiker zu Wort kommen sollen: Ein Gruppe aus Mainz bestätigte Anfang des Jahres, dass erwachsene Europäer erst nach der Etablierung einer Milchwirtschaft Milchprodukte verdauen konnten. Ihren Vorfahren fehlte das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose spaltet.

Von Hühnern und Menschen

Gene sollen auch eine alte Streitfrage auf der anderen Seite des Atlantiks klären: Wer waren die ersten Amerikaner? Kalifornische Forscher stützten im Februar die Theorie, nach der die amerikanische Urbevölkerung allein von sibirischen Jägern abstammt, die vor 13 000 Jahren die damals trocken gefallene Bering-Straße überquerten.

Clovis-Speerspitzen | Mit steinernen Speerspitzen stellten die Clovis-Jäger Mammuts und Bison nach. Vermutlich kamen die Großwildjäger aus Sibirien nach Amerika. Aber waren sie die Ersten in der Neuen Welt?
Doch davon sind nicht alle Forscher überzeugt. Ebenfalls im Februar präsentierten texanische Archäologen eine genauere Datierung der Clovis-Funde. Demnach begann diese indianische Kultur, die aus den sibirischen Einwanderern hervorgegangen sein soll, deutlich später und endete früher als bislang angenommen. Die Forscher schließen hieraus, dass schon vor den Clovis-Leuten Menschen in der Neuen Welt gelebt haben mussten.

Kamen sie per Schiff? Auch diese Idee wird schon längere Zeit diskutiert. Abermals mischten sich hier Genetiker ein. Doch diesmal ging es nicht um Menschen, sondern um – Hühner. Genanalysen von 650 Jahre alten Geflügelknochen zeigten, dass das Federvieh vermutlich einst aus Polynesien nach Amerika kam – und mit ihm wohl auch seine Besitzer. Dass die Polynesier tatsächlich gute Seefahrer gewesen sein mussten, verrieten im September dieses Jahres Beile, die einst als Handelsgut von Insel zu Insel schipperten.

Alter Apfel

Doch zurück zum alten Europa, wo die Stadt Rom die Kultur für ein Jahrtausend prägen sollte. Vor ihnen siedelten auf dem italienischen Stiefel die Etrusker. Doch von woher stammten die Uritaliener? Die Römer ahnten es: Sie sahen im fernen Anatolien die etruskischen Ahnen und stützten sich hierbei auf den griechischen Geschichtsschreiber Herodot. Heutigen Archäologen genügt das nicht – und fragen Genetiker um Rat. Im Juni gaben italienische Forscher dem alten Griechen Recht: Genetische Untersuchungen von Bewohnern toskanischer Dörfer weisen tatsächlich auf kleinasiatische Stammväter hin.

Behaim-Globus | Der Behaim-Globus ist der älteste bis heute erhaltene Vertreter seinesgleichen. Martin Behaim erhoffte sich damit, Kaufleute für die Suche nach dem Seeweg nach Asien zu begeistern. Doch Kolumbus kam ihm ein Jahr zuvor.
Die Europäer der Neuzeit trieben sich bekanntermaßen auf dem ganzen Globus herum. Ein Mann, der diesem Planeten ein anschauliches Gesicht gab, starb am 29. Juli 1507 – also vor 500 Jahren: Der Nürnberger Kaufmannssohn Martin Behaim hatte Anfang der 1490er Jahre einen "Erdapfel" gebaut. Heute gilt das gute Stück, das im Germanischen Museum in Nürnberg zu bewundern ist, als ältester erhaltener Globus der Welt.

Ein 400-jähriges Jubiläum konnten die USA begehen: Am 14. Mai 1607 gründeten englische Abenteurer die Kolonie Jamestown im heutigen US-Bundesstaat Virginia. Doch die Siedler hatten wenig Glück in der Neuen Welt – statt Reichtum erwartete sie Hunger, Krankheit und Tod. Dennoch gilt Jamestown als Keimzelle der USA – auch wenn Amerikaner viel lieber die Ankunft der Pilgerväter feiern, die dreizehn Jahre später im heutigen Massachusetts von Bord der "Mayflower" gingen.

Seinen 150. Geburtstag hätte dieses Jahr der Physiker Heinrich Hertz feiern können, der die Grundlagen des Radios schuf und am 22. Februar 1857 das Licht der Welt erblickte. 25 Jahre später, am 11. Dezember 1882, wurde sein Kollege Max Born geboren, der mit seiner Quantenmechanik das Weltbild der Physik revolutionieren sollte.

Sir Francis Leopold McClintock | Mit seinem System der Schlittenexpeditionen revolutionierte McClintock die Polarforschung. Allerdings zogen nicht Hunde die Gefährte, sondern die Mannschaft selbst. Dennoch ließen sich damit große Mengen Material transportieren und längere Strecken zurücklegen als zuvor.
Am 17. Dezember 1907 starb William Thomson – besser bekannt unter dem Namen, der sich in der absoluten Temperaturskala niederschlug: Lord Kelvin. Und einen Monat zuvor, am 17. November 1907, verschied der englische Polarforscher Francis McClintock. Mit seinen Schlitten hatte er die Voraussetzung für spätere Expeditionen in die Arktis und Antarktis entwickelt.

Das Jahr 1957 stach mit drei Ereignissen hervor, die erst hinterher richtig gewürdigt wurden: Am 12. April protestierten unter der Federführung des in diesem Jahr gestorbenen Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker 18 Physiker gegen die geplante atomare Bewaffnung Deutschlands. Das "Göttinger Manifest" gilt heute als Paradestück für Verantwortung in der Wissenschaft.

Am Tatort | Rund neunzig Prozent der Radioaktivität schlugen sich nach der Explosion auf dem Betriebsgelände von Majak nieder, zehn Prozent wurden als Radioaktivitätsfahne mit dem Wind in Nord-Ost Richtung zwischen Jekaterinenburg und Cheljabinsk verteilt.
Im Westen vollkommen unbekannt blieb lange die atomare Katastrophe, die sich ein halbes Jahr später, am 29. September 1957, am Rande des Urals ereignete: In der geheimen Kernwaffenfabrik Majak explodierten Behälter mit hoch radioaktivem Material. Der erst 1989 offiziell bestätigte Unfall gilt als das schwerste atomare Unglück vor der Havarie von Tschernobyl.

Eine Katastrophe ganz anderer Art nahm am 1. Oktober 1957 ihren verhängnisvollen Lauf: Das Schlafmittel Contergan kam auf den Markt. Wegen seiner guten Verträglichkeit nahmen viele werdende Mütter die vermeintlich harmlose Medizin – mit schrecklichen Folgen: Weltweit mehr als 10 000 Kinder kamen mit schweren Missbildungen auf die Welt, bis das Medikament vier Jahre später wieder vom Markt genommen wurde.

Saturn 5 | Wernher von Braun vor seinem "Baby": die Triebwerke der Saturn-5-Rakete, welche die Besatzung von Apollo 11 zum Mond bringen sollte
Schließlich gedachten Historiker und Techniker dieses Jahres eines Mannes, der für die einen als Held, für die anderen als Mörder gilt: Vor 30 Jahren, am 16. Juni 1977, starb Wernher von Braun. Die Karriere des Raketenbauers hatte im Dritten Reich als Schöpfer der V1-Waffe begonnen. In den USA entwickelte er nach dem Zweiten Weltkrieg die Saturn-Rakete, die schließlich Menschen zum Mond bringen sollte.

Mit dem Traum von der Reise zum Mond, der uns bis in die jüngste Vergangenheit geführt hat, schließt sich der Kreis unseres Rückblicks auf die historischen Highlights des Jahres 2007. Begonnen hatten wir an den Ufern des Neckars vor eine halbe Million Jahren – und zu neuen Ufern wird es den Menschen auch in Zukunft ziehen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.