Lexikon der Biologie: Mimikry
Mimikryw [von engl. mimicry = Nachahmung, Angleichung], nach W. Wickler jede Ähnlichkeit zwischen Lebewesen, die nicht auf stammesgeschichtlicher Verwandtschaft, sondern auf einer täuschenden Nachahmung von Signalen (nonverbale Kommunikation) beruht. Mimikry wurde früher auf Fälle Batesscher Mimikry (s.u.) beschränkt. Der Nachahmer (S2) sendet das gleiche Signal wie sein Vorbild (S1). Ein beiden gemeinsamer Signal-Empfänger (E) beantwortet das Signal in immer der gleichen Weise unabhängig davon, ob als Signal-Sender S1 oder S2 auftritt. S1, S2 und E bilden ein Mimikrysystem. Man unterscheidet nach Wickler mehrere Formen der Mimikry. a) Batessche Mimikry (Bates, H.W.): eine für E potentielle Beute (S2) sendet die gleichen Warnsignale, die eine vor E geschützte Art (S1) kennzeichnen. Optische Warnsignale zeigen bei Insekten z.B. sehr oft die Farbkombinationen Gelb-Schwarz und Rot-Schwarz, Augenflecke können als Nachahmung von Wirbeltieraugen interpretiert werden. b) Mertenssche Mimikry (Mertens, R.): umstritten; erklärt die täuschende Ähnlichkeit in Zeichnung und Größe zwischen stark giftigen (S2) und schwach giftigen (S1) Arten der echten und falschen Korallenschlangen (Elapidae und Colubridae;Giftnattern, Nattern) als eine Nachahmung von S1 durch S2. Anders als bei Batesscher Mimikry wäre in diesem Fall der Nachahmer für E gefährlicher (tödlich) als das Vorbild, so daß die Warntracht nur im Zusammentreffen mit S1 erlernt werden kann. Würde E die Warntracht angeborenermaßen erkennen, müßte S2 als Vorbild angesehen werden. c) Müllersche Mimikry (Müller, F.): 2 oder mehr Signalsender, die alle gleichermaßen Schutz vor einem gemeinsamen Feind E genießen, senden die gleichen Warnsignale. E wird also nicht getäuscht. Man benutzt lediglich eine gemeinsame Warnfarbe, damit die Signalempfänger leichter und schneller lernen können. – Den bisher genannten Mimikry-Formen ist gemeinsam, daß eine abschreckende Wirkung auf E erzielt werden soll. d) Peckhamsche Mimikry (benannt nach E.G. Peckham) oder Angriffsmimikry (aggressive Mimikry) hingegen ist dadurch gekennzeichnet, daß S2 Signale nachahmt, die E mit einer Hinwendung zum Sender beantwortet. Armflosser (S2) locken durch Hautauswüchse, die an einen Wurm (S1) erinnern, Beutefische (E) an. Blütenähnliche Gottesanbeterinnen der Tropen oder auf Blüten lauernde Krabbenspinnen (Misumena, Thomisus) passen sich der Blüte so an, daß sie von ihrer potentiellen Beute nicht gesehen werden (Blütenspinnen). Hier ist die Trennung von Peckhamscher Mimikry und dem, was früher als Mimese (Hintergrund-Imitation zur Tarnung) bezeichnet wurde, fließend. Manche Orchideen, z.B. die Sexualtäuschblumen (Täuschblumen) der Gattung Ophrys (Mittelmeergebiet; Ragwurz) oder 10 weitere Gattungen australischer Orchideen, locken durch ihre Blüten (S2), die der Gestalt der Weibchen und den Sexuallockstoffen bestimmter Dolchwespen- (Dolchwespen), Wildbienen- oder Grabwespenarten (Grabwespen) täuschend ähneln, deren Männchen (E) an. Sie verwechseln diese Blüten mit ihren Weibchen und versuchen sie zu begatten. Nur dadurch kann eine Blüte bestäubt werden (Bestäubung; Zoogamie). Dieser Fall wird nach dem Entdecker als Poyannesche Mimikry (nach dem franz. Hobby-Entomologen A. Poyanne, der 1916 das Phänomen in Algerien entdeckte) bezeichnet. Der Schleimfisch Aspidontus taeniatus (S2) ist in Körperbau, Zeichnung und Verhalten dem Putzerfisch (Lippfische) Labroides dimidiatus (S1) so ähnlich, daß er sich Putzkunden (E) nähern (Putzsymbiose) und ihnen Flossenstücke abbeißen kann. Brutparasitismus und die von Wickler „innerartliche Mimikry“ genannte Ei-Nachahmung durch Haplochromis-Männchen (Maulbrüter) sind weitere Beispiele Peckhamscher Mimikry. – Nicht jede Mimikry ist eine Täuschung. So imitieren viele Blüten mit verborgenen Staubblättern diese als Zeichnungsmuster auf der Krone (Staubgefäßattrappen). Sie stellen ähnlich wie Plastiktorten im Schaufenster eines Konditors einladene Signale für in der Blüte befindliche Nahrung (auch Nektar!) dar. – Vor der Küste der indonesischen Insel Sulawesi wurde 1998 ein bislang namenloser Octopus entdeckt, der in der Lage ist – je nach Bedarf – das Aussehen verschiedener giftiger Meeresbewohner (Plattfisch, Rotfeuerfisch oder Seeschlange, möglicherweise auch noch weiterer) anzunehmen. Abwehr, Analogie (eine Erkenntnis- und Wissensquelle), Automimikry, Ethologie (Geschichte der), Ethomimikry, Lebensformtypus, molekulare Maskierung, molekulare Mimikry; Mimikry IMimikry II .
H.F./I.N.
Lit.: Wickler, W.: Mimikry – Nachahmung und Täuschung in der Natur. München 1971.
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