Lexikon der Geowissenschaften: Foraminiferen
Foraminiferen, Foraminiferida, Kammerlinge, eine Klasse der Rhizopoda (Wurzelfüßer) und daher verwandt mit den Actinopoda (hier v.a. Radiolarien). Es handelt sich dabei um eine Gruppe formenreicher, heterotropher, überwiegend mariner Einzeller ( Abb. 1 ). Foraminiferen sind schalentragende Amöben, die mit ihren Nahrungsvakuolen direkte Phagocytose ausführen können. Das Cytoplasma ist von einem Außenskelett umgeben. Dieses kann einkammerig (monothalam) oder mehrkammerig (polythalam) ausgebildet sein und besteht aus organischer Grundsubstanz (Tektin) mit eingelagerten Calciumverbindungen (hauptsächlich Calcit, selten Aragonit), Fremdkörpern, kleinen Steinen oder Silicaten. Kalkgehäuse variieren in ihrer Feinstruktur. Durch eine größere Öffnung und feine Poren können Pseudopodien herausgestreckt werden. Das Ektoplasma umfließt von der Mündung ausgehend das Gehäuse und kann zwischen 0,05 und 150 mm groß sein. Bei den mehrkammerigen Gehäusen sind die Kammern durch Septen getrennt. Die Verbindung der Septen mit der Gehäusewand läßt sich meist als Sutur erkennen. Die Anfangskammer wird als Proloculus bezeichnet. Eingerollte Gehäuse der Foraminiferen heißen advolut, wenn sich die Umgänge entlang einer Linie berühren, evolut, wenn sich die Umgänge entlang einer Fläche berühren, involut, wenn die jüngeren Umgänge nur teilweise die älteren umgreifen, und convolut, wenn die Umgänge ganz umfaßt werden.
Im Zuge eines Generationswechsels treten bei Foraminiferen von ein und derselben Art häufig mindestens zwei in der Gehäusegestalt unterschiedliche Typen (Dimophismus) auf. Ein megalosphärisches Gehäuse (= A-Form) kennzeichnet ein ungeschlechtlich reproduziertes Individuum mit haploidem Gensatz ( = Gamont), das durch eine große Anfangskammer und ein kleines Gehäuse mit wenigen Kammern gekennzeichnet ist. Das mikrosphärische Gehäuse ( = B-Form) ist charakteristisch für ein geschlechtlich reproduziertes Individuum mit entsprechend diploidem Gensatz (Schizont), das durch eine kleine Anfangskammer und ein großes, vielkammeriges Gehäuse gekennzeichnet ist. Bei rezenten Foraminiferen liegt das Zahlenverhältnis der mikrosphärischen und der megalosphärischen Individuen einer Art zwischen 1:2 und 1:30 und mehr.
Foraminiferen leben zwar überwiegend im marinen Milieu, einige Spezialisten (verschiedene Sandschaler, Milioliden) tolerieren aber auch Brackwasser. Im Süßwasser finden sich nur einige Vertreter der Allogromiina. Die Symbiose vieler Arten mit photosynthetisierenden Zooxanthellen beschränkt das Vorkommen der Großforaminiferen auf den Flachschelfbereich und der planktonischen Formen auf die oberen, gut durchlichteten Schichten des offenen Ozeans. Die benthonisch lebenden Foraminiferen sind teils sessil, teils vagil. Sie leben im und auf dem Boden und an Wasserpflanzen. In Riffen können inkrustierende Foraminiferen durch Zementation ihres Gehäuses auf dem Substrat zur Festigung des Riffgerüstes und zur Bindung des Sediments beitragen. Kalkschaler dominieren in warmen Klimazonen, Sandschaler-Assoziationen sind dagegen für kühleres und/oder tieferes Wasser typisch. Eine Verschlechterung von Lebensbedingungen spiegelt sich bei vielen Kalkschalern in Zwergenwuchs und einer zunehmenden Unterdrückung von Oberflächenskulptur wider. Da die verschiedenen Arten Änderungen der Umweltfaktoren (Licht, Salinität, Substrat, Wasserenergie etc.) unterschiedlich tolerieren, eignen sich Foraminiferen-Vergesellschaftungen als gute Faziesindikatoren. Das Zahlenverhältnis von planktonischen zu benthonischen Arten beträgt in bathyalen Ablagerungsbereichen bei mehr als 10:1, am Schelfrand etwa 1:1 und nimmt zu den Küsten hin weiter ab.
Seit dem Altpaläozoikum treten Foraminiferen sehr häufig auf und sind dabei gelegentlich gesteinsbildend. In den pelagischen Ablagerungsräumen sind planktonische Foraminiferen wichtig, z.B. Globotruncanen-Kalke in der Oberkreide, Globorotalien-Kalke im Tertiär, Globigerinen-Schlamm im Tertiär und rezent. Besondere Bedeutung kommt in den Flachschelfgebieten den Großforaminiferen zu, z.B. Fusulinenkalke im Karbon/Perm, Orbitolinen-Kalke in der Unterkreide sowie Alveolinen- und Nummulitenkalke im Alttertiär. Als stratigraphische Leitfossilien sind einige Großforaminiferen-Gruppen (seit dem Jungpaläozoikum) und seit der Kreide die planktonischen Foraminiferen wichtig. Auch mit benthonischen Kleinforaminiferen läßt sich vielfach aufgrund der kontinuierlichen Veränderung von Gehäusemerkmalen (z.B. Gehäusewinkel) in der vertikalen Faunenabfolge eine lokale Feinstratigraphie aufstellen.
Kriterien für die Taxonomie der Foraminiferen sind Baumaterial der Schale, Lage und Skulptur der Gehäusemündung, Zahl, Form und Größe der Kammern sowie Skulptur des Gehäuses. Daraus ergibt sich folgende Systematik fossiler und rezenter Foraminiferen:
1. Ordnung: Allogromiida ("Tektinschaler", Unterkambrium bis rezent): Allogromiida besitzen primitive Formen, das Gehäuse besteht aus einer chitinähnlichen, organischen Substanz (Tektin). Geologisch sind sie unbedeutend.
2. Ordnung: Textulariida ("Sandschaler", Kambrium bis rezent) ( Abb. 1 ): Häufig sind es benthisch lebende Formen. Das Gehäuse erscheint vielfach langgestreckt und biserial, frei oder festgeheftet, kugelig, röhrenförmig, verschieden gewunden. Die Wand ist einfach gestaltet, mit einer tektinigen Innen- und einer agglutinierten Außenschicht. Die Mündung ist rund, einfach und terminal gelegen, oft aber auch fehlend. Textulariida besitzen z.T. ein kompliziertes Porensystem und gliedern sich in zwei Überfamilien: die überwiegend einkammerigen Ammodiscacea und die mehrkammerigen Lituolacea. Die Ammodiscacea (Kambrium bis rezent) untergliedern sich wiederum in die Gattungen Saccammina (kugelig, mit endständiger Mündung, Silur bis rezent), Rhabdammina (röhrenförmig, mehrere von einem Zentralpunkt ausstrahlende Mündungen, Ordovizium bis rezent) und Ammodiscus (planspiral aufgerollt, Silur bis rezent). Die Lituolacea hingegen weisen extrem variable Formen auf. Konische Formen der Familie Orbitolinidae (Unterkreide bis Obereozän) entwickeln nach einem ersten trochospiralen Stadium einen komplizierten Septenbau. Die Kammern des abgeflacht kegelförmigen Gehäuses werden durch radiale Septulen am Rande in zahlreiche röhrenförmige Kämmerchen geteilt.
3. Ordnung: Fusulinida ("Kalkschaler", Ordovizium bis Trias) ( Abb. 2 ): Es handelt sich um meist größere Foraminiferen mit mikrogranularer Calcitschale, teils perforat, teils imperforat. Die Kammern sind planspiral zu diskus- oder spindelförmiger Gestalt angeordnet. Geologisch bedeutsam ist die Unterordnung Fusulinina mit vorwiegend großen Formen, sie sind Leitfossilien im ausgehenden Karbon und v.a. im Perm. Das Gehäuse ist meist unregelmäßig spindelförmig, von 0,5 mm bis einige cm lang. Auch eine kugelige, linsenförmige und subzylindrische Gestalt ist möglich. Im typischen Fall sind die Gehäuse planspiral und convolut. Die Aufrollungsachse fällt meist mit dem größten Durchmesser des Gehäuses zusammen. Große Vielfalt erfahren sie durch den unterschiedlichen Bau der Gehäusewand (Spirotheka) und den Verlauf der flachen oder gewellten Septen. Die Kammern stehen durch Poren und Tunnel miteinander in Verbindung. Die Schale ist körnig-kalkig, perforiert und ein- bis vierschichtig. Die Spirotheka besteht bei einfachen Formen aus einer einzigen undifferenzierten Schicht, der Protheka. Darüber kann eine dünne äußere Schicht, das Tectum, entwickelt sein, darüber wieder ein äußeres Tectorium. Bei hochdifferenzierten Fusuliniden (Gattung: Fusulina) ersetzt die Diaphanotheka (eine helle, durchscheinende Schicht) die Protheka; unter ihr entsteht sekundär das dunkle, dünne innere Tectorium. Die typische vierschichtige Fusulinenwand besteht also aus dem äußeren Tectorium, dem Tectum, der Diaphanothek und dem inneren Tectorium. Ökologisch waren die Fusulinen rein marine, benthische Bewohner der flachen, küstenferneren Zonen mit klarem Wasser. Sie werden überwiegend in reinen Kalksteinen gefunden und sind häufig mit Kalkalgen vergesellschaftet. Die Fusulinen kommen seit dem Unterkarbon vor; im Perm waren sie besonders häufig und weit verbreitet (hauptsächlich im Bereich der Tethys). Die wichtigsten Leitfossilien dieser Ordnung sind Fusulina (mittleres Oberkarbon), Schwagerina (Perm), Neoschwagerina (oberes Perm).
4. Ordnung: Miliolida ("Porzellanschaler", Karbon bis rezent) ( Abb. 1 ): Miliolida sind Hochmagnesium-Calcitschaler, das Gehäuse ist gewunden, entweder planspiral oder unregelmäßig, die imperforate Wand besteht aus überwiegend tangential orientierten, dicht verfilzten Carbonatkristalliten ( = porzellanschalig) und die Mündung ist terminal, einfach, mit Zähnchen oder siebförmig. Die meisten Miliolida gehören überwiegend zwei Familien an, den Soritidae und den Alveolinidae. Die Alveolinidae sind vermutlich polyphyletisch entstanden und seit dem Alb bekannt, ihre Blüte finden sie in der Oberkreide und im Eozän. Es sind Bewohner tropischer Flachmeerbereiche in Symbiose mit Zooxanthellen. Durch Symbionten sind sie völlig unabhängig von Nährstoffarmut (Oligotrophie) und wechselnder Salinität.
5. Ordnung: Rotaliida ("Hyalinschaler", Perm bis rezent) ( Abb. 1 ): Rotaliida sind Tiefmagnesium-Calcitschaler. Das Gehäuse ist frei, nur selten festgewachsen, gekammert, ursprünglich trochospiral gebaut, besitzt aber auch andere Bauformen. Die Wandung ist lamellar, aus überwiegend radial orientierten Kristalliten (Calcit oder Aragonit) und perforiert. Die Mündung ist ursprünglich schlitzförmig, später kann sie durch Poren ersetzt sein. Zu dieser Ordnung gehört die Mehrzahl der rezenten Foraminiferen. Einige wichtige Gattungen sind: Globotruncana (Gehäuse trochospiral, Mündung basal, umbilikal, doppelter Kiel), Globorotalia (Gehäuse trochospiral, Mündung einfach, groß und ventral, einfacher Kiel, verdickte Suturen), Globigerina (Gehäuse trochospiral, Mündung basal und umbilikal, Kammern gebläht). Auch unter den Rotaliida gibt es Großforaminiferen. Hierzu zählt die Familie Nummulitidae. Ihre planspiralen Gehäuse sind linsen- oder scheibenförmig, vielkammerig und haben ein fein verzweigtes Kanalsystem; die Schale ist kalkig-perforat. Nummulitidae kommen seit der obersten Kreide vor und stellen im Alttertiär viele Leitformen. Es sind benthische Bewohner der neritischen Regionen tropischer und subtropischer Meere. Das Zentrum der Entwicklung war die Tethys. Rezente Nummulitidae leben in tropischen Meeren. Eozäner Nummulitenkalk diente in Ägypten zeitweilig als Baumaterial für die Pyramiden. Bekannte Gattungen sind Nummulites (Paläozän bis Unteroligozän) und Operculina (Oberkreide bis rezent). Auch Arten der Familie Orbitoididae besitzen große scheiben- oder linsenförmige, bikonkave Gehäuse mit einschichtiger Wand. Sie lebten von Campan bis Maastricht in wärmeren Flachwasserregionen, z.B. die Gattung Orbitoides. [RKo]
Literatur: MOORE, R. (1952 ff): Treatise on Invertebrate Paleontology.
Foraminiferen 1: Gehäuse verschiedener Foraminiferen-Gattungen: Ordnung Textulariida: a) Saccammina, b) Textularia; Ordnung Miliolida: c) Quinqeloculina; Ordnung Rotaliida: d) Lagena, e) Elphidium, f) Nodosaria, g) Orbulina, h) Lenticulina, i) Uvigerina, j) Globigerina, k) Globotruncana. Foraminiferen 1:
Foraminiferen 2: schematische Rekonstruktion der Gattung Fusulina (Ordnung Fusulinida). Foraminiferen 2:
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.