Lexikon der Biologie: Sigma-Faktoren
Sigma-Faktoren [von *sigma- ], σ-Faktoren, reversibel an die eubakterielle RNA-Polymerase (RNAP) bindende Proteine, die mit dem RNAP-Core-Enzym (RNAP-Minimalenzym) den für die Initiation der Transkription notwendigen RNAP-Holoenzym-Komplex formieren. Sigma-Faktoren verringern unspezifische Wechselwirkungen des RNAP-Holoenzyms mit der DNA und vermitteln die spezifische Bindung des Holoenzyms an die Erkennungssequenzen der –10- und –35-Promotorregion. RNAP-Holoenzym und Promotor bilden einen geschlossenen Komplex, der nach Aufschmelzen eines kurzen DNA-Abschnitts in einen offenen Komplex übergeht. Dieser Initial-Transkriptionskomplex verbleibt an der Transkriptionsstartstelle und synthetisiert zunächst etwa 12 Nucleotide lange RNA-Fragmente. Nach der Initiation der Transkription löst sich der Sigma-Faktor von dem RNAP-Holoenzym, das RNAP-Core-Enzym wandert an dem DNA-Matrizenstrang entlang und verlängert die RNA-Fragmente. Bakterien synthetisieren verschiedene Sigma-Faktoren, welche die RNAP an distinkte Promotorklassen mit unterschiedlichen Erkennungssequenzen dirigieren, so daß sowohl die Expression konstitutiver Haushaltsgene (housekeeping genes) als auch die Expression regulierter Gene (Genregulation) durch Sigma-Faktoren kontrolliert werden kann. Die 14 derzeit bekannten Klassen von Sigma-Faktoren werden in 2 Familien eingeteilt, die nach ihren Hauptvertretern als σ70- und σ54-Familien bezeichnet werden. – σ70-Faktoren stellen die Mehrheit der Sigma-Faktoren und werden in 3 Gruppen unterteilt. Zur Gruppe 1 zählen Standard- (Haupt-)Sigma-Faktoren (σ70 in E.coli; Escherichia coli), die für die Transkription essentieller Gene in der exponentiellen Wachstumsphase (mikrobielles Wachstum) verantwortlich sind. Zur Gruppe 2 gehören in der exponentiellen Wachstumsphase nicht-essentielle, den Standard-Sigma-Faktoren ähnliche Faktoren. Hierzu zählt der σS-Faktor (RpoS), der in E.coli die Transkription von Genen der stationären Phase und der generellen Streßantwort reguliert. Gruppe 3 beinhaltet alternative Sigma-Faktoren, die Gene in spezifischen Regulons kontrollieren, deren Transkription von Umwelteinflüssen und dem Entwicklungsstadium abhängt. Wichtige Vertreter sind die Faktoren σ32 (RpoH) in E.coli und σB in Bacillus subtilis, die das Hitzeschockregulon (heat-shock-Gene) bzw. die generelle Streßantwort regulieren. In dem grampositiven Bodenbakterium Bacillus subtilis regelt ein Set von 5 Sigma-Faktoren (σH, σF, σE, σG, σK), die ebenfalls dieser Gruppe zugeordnet werden, die Einleitung der Endosporenbildung (Endosporen) als Anpassungsreaktion an verschlechterte Wachstumsbedingungen (Umwelteinflüsse). Der Prozeß der Endosporenbildung benötigt die konzertierte Expression von etwa 100 verschiedenen Genen, deren Transkription in einem zeitlich und räumlich hochorganisierten Programm durch die sporenentwicklungsabhängigen Sigma-Faktoren gesteuert wird. Die Gene der Sporulations-Sigma-Faktoren werden aufeinanderfolgend exprimiert, wobei ihre Transkription vom jeweils zuvor synthetisierten Sigma-Faktor abhängt. Zusätzliche, posttranskriptionelle Kontrollmechanismen verknüpfen die Aktivität der Sigma-Faktoren mit dem Entwicklungsstand der Endosporenbildung ( vgl. Tab. ). – Die σ54-Faktoren unterscheiden sich in Struktur und Funktion grundlegend von σ70-Faktoren. σ54 wurde zunächst als Sigma-Faktor identifiziert, der in E.coli die Transkription N2-regulierter Gene, z.B. des Gens der Glutamin-Synthetase, kontrolliert. Mittlerweile wurden in den meisten gramnegativen und grampositiven Bakterien nichtessentielle σ54-Faktoren mit unterschiedlichen Funktionen gefunden. – Proteine, welche die Transkription durch Wechselwirkung mit Sigma-Faktoren negativ regulieren, werden als Anti-Sigma-Faktoren bezeichnet. So wird in Bacillus subtilis sowohl die Sporenbildung als auch die generelle Streßantwort durch Anti-Sigma-Faktoren coreguliert. Viele Genome von Bakteriophagen, z.B. von T4 (T-Phagen) und SPO1, codieren für Sigma-Faktoren, die für die Expression eigener Gene notwendig sind. Eukaryotische Polymerasen, wie RNA-Polymerase II und mitochondriale RNA-Polymerase, enthalten zu Sigma-Faktoren homologe Proteine. Auch bei Plastiden werden zu Sigma-Faktoren ähnliche Proteine vermutet. Aktivatorproteine, Initiationsfaktoren, Lyticum, Killer-Gen, Nus-A-Protein.
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