Lexikon der Geowissenschaften: kartographische Kommunikation
kartographische Kommunikation, Kommunikationsmodell, umfaßt die ein- oder mehrseitigen Übermittlungsprozesse bei der Aufnahme, der Verarbeitung und dem Austausch von raumbezogenen Informationen mittels kartographischer Medien auf der Grundlage der Kartenzeichen und der Sprache, vorwiegend mit dem Ziel der georäumlichen Erkenntnisgewinnung bzw. Erkenntniserweiterung, der raum- bzw. umweltbezogenen Bewußtseinsbildung oder Verhaltens- und Handlungssteuerung. Übermittelt werden im Rahmen der kartographischen Kommunikation, neben den georäumlichen Informationen, kommunikationsrelevante Merkmale und Bedingungen der Aufnahme, Verarbeitung oder des Austausches von Informationen. Diese können den zur Kommunikation erforderlichen gemeinsamen Zeichenvorrat beispielsweise in Form von Beschreibungsinformationen prozeß- und zielorientiert ergänzen. Der allgemeine Kommunikationsbegriff beschreibt a) die Übermittlung von Nachrichten zwischen Menschen auf der Grundlage eines gemeinsamen Zeichenvorrats als notwendige Voraussetzung für das Zusammenleben der Menschen in sozialen Gemeinschaften. Die Informationsträger einer Nachricht bilden dabei akustische und optische Signale. b) ist "Kommunikation" ein Grundbegriff in der Existenzphilosophie Karl Jaspers, nach dem jeglicher menschlichen Existenz das Bedürfnis nach Informationsaustausch als Grundlage für Denken und Handeln immanent ist. Die Motive, Bedingungen und Wirkungen der Kommunikation seien nach Jaspers deshalb "durchsichtig zu machen". Im Zusammenhang mit der Entwicklung und Einführung der Datenverarbeitung in den 1970er Jahren haben die Kybernetik und die Informationstheorie den Begriff der Informationsübermittlung zunächst erheblich erweitert, indem jede Art der Übermittlung von Informationen zwischen dynamischen Systemen bzw. zwischen Teilsystemen, die zur Aufnahme, Speicherung, Weiterverarbeitung und zum Austausch fähig sind, einbezogen wurden. Systeme, die Informationen aussenden, neben Menschen demnach also auch Organismen und Maschinen, wurden dabei als Sender bezeichnet; die diese Informationen aufnehmenden Systeme dagegen als Empfänger. Werden Informationen zwischen zwei dynamischen Systemen ausgetauscht, so spricht der klassische Kommunikationsbegriff von einer informationellen Kopplung zwischen diesen Systemen. Neuere Ansätze in den Kommunikations- und Kognitionswissenschaften, der Informatik und der Kartographie definieren Kommunikation allerdings erneut als Übermittlung und Austausch von Informationen mit dem Ziel der ausschließlich von Menschen zu bewältigenden Informationsverarbeitung. Gegenstand der Kommunikationswissenschaft als eine der allgemeinen Sprachwissenschaft und der Informatik übergeordnete Wissenschaft sind dementsprechend u.a. informationelle Kopplungen zwischen Menschen, die sich der Sprache bedienen. In der Kartographie wurde der Kommunikationsbegriff nachhaltig erstmals in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit der kybernetischen sowie zeichen- und informationstheoretischen Betrachtung der Kartenherstellung und Kartennutzung untersucht (kartographische Zeichentheorie). Aufgrund der zu dieser Zeit modernen Erkenntnis, daß Karten nur dann funktionieren, wenn bei ihrer Konzeption auch die Bedingungen ihrer Nutzung berücksichtigt werden, wurde dabei a) der Begriff der kartographischen Information im Rahmen eines kartographischen Sender-Kanal-Empfänger-Modelles geprägt. b) wurden theoretisch und methodisch orientierte Arbeitsbereiche der Kartographie gegliedert, deren Aufgabe auch heute noch die zeichentheoretische Beschreibung und Untersuchung einzelner Komponenten des kartographischen Kommunikationsprozesses ist. Der in diesem Zusammenhang modellhaft als kartographische Kommunikationskette beschriebene Kommunikationsprozeß wurde dabei als ein System von Elementen der kartographischen Informationsübermittlung mit bestimmenden ("determinierenden") Faktoren aufgefaßt, welches den Erfolg kartographischer Kommunikationsprozesse maßgeblich steuert. Sender und Empfänger in kartographischen Kommunikationsprozessen können heute allerdings nicht mehr statisch im Sinne einer Trennung von Kartenhersteller und Kartennutzer unterschieden werden. Aufgrund zunehmend verfügbarer Funktionen und Werkzeuge zur automatischen Kartenherstellung in Informationssystemen ist der Kartennutzer vielmehr auch gleichzeitig Kartenhersteller bzw. der mit Hilfe von Kommunikationssystemen die Kartengenerierung interaktiv auslösende Systemnutzer (dialogorientierte Kommunikation, kartographische Bildschirmkommunikation). Die grundlegenden Faktoren kartographischer Kommunikationsprozesse bilden die Funktionen der Nutzung bzw. die Anwendungsbereiche von Karten und kartographischen Medien (Kartennutzung) im Rahmen eines Kommunikationskontextes bzw. die aus diesen ableitbaren kommunikativen Funktionsmerkmale und die mit der konkreten Nutzung verbundenen situativen Bedingungen (Kommunikationssituation). Funktionen der Kartennutzung sind u.a. das Dokumentieren und Archivieren georäumlicher Erkenntnisse, die Orientierung im Georaum und die Navigation im Gelände und in der Umwelt, die Gewinnung von georäumlichen Überblicksinformationen und neuen Erkenntnissen, aber auch das Messen, Analysieren und Überprüfen von Informationen sowie das Lernen mit georäumlichen Informationen. Kommunikationsbezogene Merkmale, die diese Nutzungsfunktionen kennzeichnen, sind beispielsweise fachliche Konventionen bei der Dokumentation von geowissenschaftlichen Forschungsergebnissen oder systematische Stukturen zur Archivierung von Karten. Bei der Gewinnung von neuen Informationen und Erkenntnissen sowie beim Lernen erfordern dagegen beispielsweise die unterschiedlichen Erkenntnisziele und Merkmale von visuell-kognitiven Operationen im kartographischen Wahrnehmungsraum u.a. spezifische Interaktions- und Unterstützungsformen bei der Informationsübermittlung. Funktionsmerkmale, die beim Messen, Analysieren und Überprüfen von Informationen mit übertragen werden müssen, sind z.B. Anforderungen an räumliche Bezugssysteme oder qualitative und quantitative Begriffs- und Wertesysteme. Als zweiten Faktorenbereich bestimmen in Karten und kartographischen Medien Eigenschaften und Merkmale der Abbildung georäumlicher Daten die Ausrichtung des Kommunikationsprozesses auf die Funktionen der Kartennutzung. So erfordert die Übermittlung von georäumlichen Detailinformationen beim Messen, Analysieren und Überprüfen prinzipiell andere Angaben zum Maßstab und zur Projektion als die Übermittlung von Übersichtsinformationen. Das Lernen mit georäumlichen Informationen hängt dagegen in starkem Maße von der Abstraktion der Abbildung in Karten ab. Abstrakte Zeichen erfordern beispielsweise die Übermittlung umfangreicherer Erläuterungen als bildhafte Zeichen. Der dritte Faktorenbereich wird durch den Kartennutzer gebildet, den unterschiedlich spezifisches Fachwissen, individuelle Fähigkeiten und situative Einstellungen und Motivationen kennzeichnen (Kommunikationsfähigkeit). Die Analyse kartographischer Kommunikationsprozesse hinsichtlich spezifisch kommunikationsbezogener Merkmale und Bedingungen der Aufnahme, Verarbeitung und des Austausches von georäumlichen Informationen sowie die Übermittlung dieser Merkmale und Bedingungen, beispielsweise durch Metainformationen und Metadaten, ist Gegenstand der experimentellen Kartographie. [PT]
Literatur: [1] Bollmann, J. (1977): Probleme der kartographischen Kommunikation.- Bonn-Bad Godesberg. [2] Ogrissek, W. (1987): Theoretische Kartographie. – Gotha.
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