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Lexikon der Neurowissenschaft: Il-6

Il-6, Abk. für Interleukin 6, Einterleukin 6, ein Cytokin, das zu einer Gruppe von Mediatoren gehört, die ähnliche Bioaktivität und als gemeinsame Rezeptorkomponente das gp130-Molekül aufweisen. Zu dieser Gruppe der gp130-Cytokine, auch neuropoietische Cytokine oder Neurokine genannt, gehören ferner LIF, Il-11, Oncostatin M, CNTF und Cardiotrophin-1. Il-6 wird von einer Vielzahl verschiedener Zelltypen gebildet, und die Produktion wird durch Phorbolester und die Cytokine TNF-α und Il-1β angeregt. Im Nervensystem wird Il-6 z.B. in Mikrogliazellen exprimiert. Mit sensitiven Methoden konnte seine Expression in verschiedenen Gehirnteilen (Großhirnrinde, Kleinhirn, Hippocampus, Hypophyse, Hypothalamus) nachgewiesen werden. Il-6 wirkt in der Regel lokal auf den Verlauf einer Entzündung, kann aber auch eine Vielzahl von verschiedenen anderen Effekten entfalten. So steigert Il-6 die Überlebenszeit cholinerger Neuronen in Kultur, regt bestimmte neuronale Zellinien zur Differenzierung an sowie induziert die Reifung humaner Myelome, von Plasmacytomen und möglicherweise auch anderer Tumoren. Il-6 kann sowohl auf Lymphocyten als auch auf NK-Zellen seine Wirkung entfalten. Eine wesentliche Aufgabe von Il-6 ist die Aktivierung der Akutphasenproteine (Akutphasenreaktion) in der Leber während einer Immunantwort. Seine Serumkonzentration steigt auch bei Trauma und Streß stark an. Il-6 kann wie TNF-α und Il-1 eine Körpertemperaturerhöhung (Fieber) auslösen. Es bindet mit hoher Affinität an Komplexe aus dem Il-6-Rezeptor-α und dem Membranmolekül gp130, welches für die Signalweiterleitung verantwortlich ist. Gp130 wird in fast allen Zelltypen exprimiert, der Il-6-Rezeptor-α, der für eine Il-6-Wirkung notwendig ist, wird nur von wenigen Zelltypen gebildet. Die biologische Wirkung von Il-6 kann durch einen löslichen Il-6-Rezeptor (s-Il-6R) verstärkt werden. Il-6/Il-6-Rezeptorkomplexe wirken wachstumsfördernd auf hämatopoetische Vorläuferzellen und Hinterwurzelganglien-Neurone. Il-6 kann die Blut-Hirn-Schranke passieren, stimuliert die Freisetzung von Corticoliberin aus dem Hypothalamus und scheint insgesamt ein wichtiger Mediator im Zentralnervensystem zu sein. Neuroimmunologie.

Il-6 bindet an ein Rezeptorprotein auf Zielzellen (Il-6R, gp80). Der Komplex aus Il-6R und Il-6 interagiert mit einem signaltransduzierenden Protein gp130 und induziert die Aktivierung verschiedener Tyrosin-Kinasen (MAP- und Janus-Kinasen) mit nachfolgender Stimulierung von STAT-Transkriptionsfaktoren. Das signaltransduzierende Protein gp130 ist auch Bestandteil der Rezeptorkomplexe für LIF, Il-11, Oncostatin M, CNTF und Cardiotrophin-1. Durch alternatives Spleißen der Il-6R-prä-mRNA oder durch proteolytische Prozessierung ("shedding") des membranständigen Il-6R wird ein löslicher Il-6-Rezeptor (s-Il-6R) gebildet. s-Il-6R kann zusammen mit Il-6 Zielzellen aktivieren, die gp130 an ihrer Zelloberfläche exprimieren, aber keinen membranständigen Il-6R aufweisen ("trans-signaling"). Die Tatsache, daß sIl-6R im Serum, Urin, in der Gelenksflüssigkeit und der Cerebrospinalflüssigkeit von Gesunden nachweisbar ist und bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten stark erhöht ist, weist auf die biologische und pathophysiologische Bedeutung des Il-6-Systems hin. Sowohl Il-6 als auch sein Rezeptor werden im normalen Säugetier-Gehirn regionsspezifisch, vorwiegend in Neuronen des Kleinhirns und des Hippocampus, exprimiert. Beide Transkripte werden entwicklungsabhängig reguliert. Il-6 kann sowohl neuroprotektive als auch neurotoxische Wirkungen ausüben. Il-6-hemmt die durch Axotomie induzierte retrograde Degeneration von Motoneuronen neugeborener Ratten. Il-6 fördert das Überleben cholinerger und anderer ZNS-Neurone und antagonisiert die Wirkung von Neurotoxinen wie MPP+ (MPTP) auf dopaminerge Neurone und die excitotoxische Läsion von striatalen cholinergen Neuronen. Der excitotoxische Zelltod (Excitotoxizität) von Neuronen im CA1-Sektor des Hippocampus wird durch Il-6 soweit reduziert, daß die läsionsbedingte Beeinträchtigung des Lernprozesses (Lernen) signifikant verhindert wird. Andere Befunde weisen darauf hin, daß Il-6 auch an neuropathologischen Prozessen beteiligt ist. Bei verschiedenen entzündlichen neurodegenerativen Krankheitsprozessen im Zentralnervensystem, wie Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Krankheit und nach Hirnverletzungen, wurde eine erhöhte Il-6-Expression nachgewiesen. Überexpression von Il-6 im Zentralnervensystem bei transgenen Mäusen löst Nervenzelldegeneration aus, die von einer massiven Gliose begleitet ist. – Neue Beobachtungen weisen daraufhin, daß Neurotrophine und Cytokine funktionell miteinander verknüpft sind. An einem Tiermodell (wobbler-Maus) konnte die Degeneration von Motoneuronen nur durch kombinierte Behandlung mit BDNF und CNTF gehemmt werden. An einem Nerven-Läsionsmodell (Läsion des Nervus ischiadicus der Ratte) konnte die für die Nervenregeneration wichtige Interaktion von FGF-2 (Fibroblasten-Wachstumsfaktor) und Il-6 charakterisiert werden. Stimulation von Astrocyten-Kulturen verschiedener Hirnregionen neugeborener Ratten mit Il-6 und s-Il-6R induziert die Synthese von Neurotrophinen wie Nervenwachstumsfaktor, Neurotrophin-3 und NT-4/5 (Neurotrophin-5). Diese Befunde sprechen dafür, daß Wechselwirkungen zwischen Cytokinen wie Il-6 und Neurotrophinen an Regenerationsprozessen im Zentralnervensystem beteiligt sind.

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Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
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