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Metzler Philosophen-Lexikon: Melanchthon, Philipp (d.i. Philipp Schwarzerd)

Geb. 16. 2. 1497 in Bretten/Pfalz;

gest. 19. 4. 1560 in Wittenberg

In seiner Einleitung zu Luthers Psalmen-Kommentar schreibt M. 1519, es sei nutzlos zu wissen, daß Gott die Welt erschaffen hat, wenn dieser Gott nicht weise und barmherzig ist. Diese Art der Erkenntnis sei den Christen eigen, sie übersteige alle Philosophie. So sehr M. die Philosophie liebt, ihre Erkenntnis bewegt sich für ihn stets im Rahmen der göttlichen Offenbarung. Und auch er wollte diesen Rahmen nicht verlassen; sein Leben lang sah er sich als Lehrer, nicht als Theologen. M. wurde als Philipp Schwarzerd geboren; die Gräzisierung seines Namens erfolgte durch seinen Großonkel Johannes Reuchlin, der seine Begabung erkannte und ihn früh in die Welt des Humanismus einführte. Nach der Lateinschule in Pforzheim erklomm M. schnell die akademische Stufenleiter: 1508 wurde er in Heidelberg Bakkalaureus, 1514 in Tübingen Magister der Artistenfakultät. In dieser Zeit widmete er sich dem Studium der alten Sprachen Latein und Griechisch und der wichtigsten antiken Autoren, besonders Aristoteles. Seine umfassenden Griechischkenntnisse, die er in einer Grammatik dargestellt hat, brachten ihm 1518 durch Vermittlung Reuchlins die Berufung auf die neueingerichtete Professur für Griechisch an der Universität Wittenberg ein. Der junge Humanist, der bereits in Tübingen die persönliche Religiosität der »devotio moderna« kennengelernt hatte, schloß sich schnell der dort durch Luther eingeleiteten Reformation an. Die Lehren Luthers über Sünde und Gnade, Rechtfertigung durch den Glauben und die alleinige Autorität der Bibel verbanden sich ihm scheinbar mühelos mit seinen humanistischen Überzeugungen. Er weigert sich aber, Theologe zu werden, bleibt Philologe. Diese Verbindung von Reformation und Humanismus, 1521 noch in den Loci communes rerum theologicarum (Allgemeine Grundbegriffe des theologischen Sachbereichs oder Abriß der Theologie), der ersten systematischen Darstellung reformatorischer Lehren ablesbar, wird jedoch durch die Ereignisse bis 1526 in Frage gestellt. Das Auftreten der »Zwickauer Propheten« aus dem Umkreis Thomas Müntzers und die Unruhen im Verlauf des Bauernkrieges stellen für M. in aller Schärfe das Problem des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Geist. Luthers Lehre der strengen Vorherbestimmtheit des menschlichen Schicksals wurde für ihn ebenso unannehmbar wie das Gottesverständnis der »Schwärmer«, durch das sie sich zum Aufstand berechtigt glaubten.

M. findet zu der Position, daß der menschliche Geist an der Veränderung aus göttlicher Gnade, die streng an das äußere Wort der Heiligen Schrift gebunden ist, mitwirkt. Diese Veränderung aus göttlicher Gnade ermöglicht dem Menschen eine Lebensgestaltung nach Gottes Willen. Die Folge dieses neuen Geistverständnisses war für M. die Ablehnung des Bauernaufstandes und des Widerstandes der Fürsten gegen Kaiser Karl V. Ebenso trat er für die gewaltsame Unterdrückung der Täufer und radikalen Evangelischen ein. Die Aversion des orthodoxen Luthertums gegen alle schwärmerischen Glaubenselemente geht wesentlich auf ihn zurück. In der Phase der obrigkeitlichen Durchsetzung und reichsrechtlichen Anerkennung der Reformation im deutschen Reich nach dem Bauernkrieg fällt M. die Rolle des Organisators der neu entstehenden lutherischen Konfession zu. Für den Reichstag 1530 in Augsburg verfaßte er mit der Confessio Augustana eine für fast alle reformatorisch gesinnten Reichsstände konsensfähige Darstellung ihrer Glaubensüberzeugung. Institutionell prägte er die neue Kirche durch seine »Visitationsartikel«, die den Weg zum landesherrlichen Kirchenregiment freimachten. Es ist die Tragik M.s, daß diese Wirkungen seines Handelns das Gegenteil seiner Absichten waren. Um den Frieden und die Einheit der Kirche soweit wie möglich zu bewahren, zeigte er sich Kaiser und alter Kirche gegenüber so kompromißbereit in Fragen der äußeren Form, daß er den Lutheranern verdächtig wurde. Deshalb häuften sich in den Jahren nach Luthers Tod 1546 die Vorwürfe gegen ihn, Luthers Lehren verraten zu haben. Wie so viele Friedensstifter stand er zwischen den sich verhärtenden Fronten. – Zu seinen folgenreichsten Wirkungen gehören darüber hinaus die Tradierung aristotelischer und humanistischer Studieninhalte in die neuentstehende protestantische Schulphilosophie und die Reorganisation des weltlichen territorialen Bildungswesens. Das Studium der aristotelischen Naturphilosophie förderte er nachdrücklich, radikale Neuerungen wie das Weltbild des Kopernikus lehnte er ab. Er blieb der Nachwelt als das in Erinnerung, was er immer nur sein wollte: Lehrer, nicht Prophet Deutschlands.

Schwab, Hans-Rüdiger: Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands. Ein biographisches Lesebuch. München 21997. – Hauschild, Wolf-Dieter: Philipp Melanchthon. In: Scholder, Klaus/Kleinmann, Dieter (Hg.): Protestantische Profile. Königstein/Taunus 1983. – Maurer, Wilhelm: Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. Göttingen 1967/1969.

Alexander Hülle

  • Die Autoren
Herausgegeben von Bernd Lutz

Albert, Claudia (Berlin): Ariès, Diderot, Elias, Jonas, Ricoeur
Altmayer, Claus (Saarbrücken): Garve
Arend, Elisabeth (Bremen): Bourdieu, Durkheim, Ficino
Askani, Hans-Christoph (Paris): Bultmann, Lévinas, Rosenzweig
Bachmaier, Helmut (Konstanz): Herodot, Simmel
Baecker, Dirk (Witten/Herdecke): Baudrillard
Baltzer, Ulrich (München): Searle
Baumhauer, Otto A. (Bremen): Gorgias, Hippias, Prodikos, Protagoras
Beierwaltes, Werner (München): Proklos Diadochos
Benz, Hubert (Marburg): Iamblichos
Berger, Siegfried (Köln): Comte
Bergfleth, Gerd (Tübingen): Bataille
Bernard, Wolfgang (Rostock): Alexander von Aphrodisias, Nikomachos
Berressem, Hanjo (Aachen): Guattari
Beutel, Albrecht (Münster): Luther
Böhlke, Effi (Berlin): Berdjaev, Solov’ëv, Tocqueville
Boin, Manfred (Köln): Fichte
Borkopp, Peter (London): Schleiermacher
Bormann, Claus von (Bielefeld): Lacan, Lévi-Strauss
Brede, Werner (München): Plessner
Breidbach, Olaf (Jena): Oken
Deitz, Luc (Luxemburg): Antisthenes, Euklid, Kleanthes, Ptolemaios, Sextus Empiricus
Demmerling, Christoph (Dresden): Austin, Bolzano, Carnap, Chomsky, Feyerabend, Kripke, Kuhn, Ryle, Tugendhat
Dorowin, Hermann (Florenz): Ortega y Gasset
Dorsel, Andreas (Menlo Park, Cal.): Newton
Drechsler, Martin (Kreuzlingen): Anaxarch, Berkeley, Chrysippos, Schlick
Elsholz, Günter (Hamburg): Mill
Felten, Hans (Aachen): Saint-Simon
Fick, Monika (Aachen): Lessing
Fischer, Ernst Peter (Konstanz): Bohr, Darwin, Haeckel, Heisenberg, Helmholtz, Pauli, Piaget, Planck, Schrödinger
Fittkau, Ludger (Essen): Virilio
Flaßpöhler, Svenja (Münster): Butler
Früchtl, Josef (Münster): Rorty
Fülberth, Georg (Marburg): Bernstein, Luxemburg
Fütterer, Günther (Neusorg): Fromm
Gehring, Petra (Darmstadt): Serres
Gerhardt, Volker (Berlin): Kant
Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara (Dresden): Guardini
Gillies, Steven (Konstanz): Morris, Needham, Owen, Ricardo, D.F. Strauß
Gmünder, Ulrich (Caracas): Marcuse
Goldschmidt, Werner (Hamburg): Proudhon
Gönner, Gerhard (Bietigheim-Bissingen): Frege, Heraklit
Gosepath, Stefan (Berlin): Rawls
Gräfrath, Bernd (Essen): Hutcheson
Habermehl, Peter (Berlin): Anaxagoras, Anaximander, Augustinus, Boëthius, Clemens von Alexandria, Empedokles, Origenes, Parmenides, Philon von Alexandria, Pythagoras, Xenophanes, Zenon von Elea
Halfwassen, Jens (Heidelberg): Porphyrios
Hausmann, Frank-Rutger (Freiburg): Bodin, La Mettrie, Montesquieu
Heckl, Wolfgang M. (München): Einstein, Galilei
Heidrich, Christian: Kolakowski
Helferich, Christoph (Florenz): Croce, Gramsci, Hegel, Jung
Henckmann, Wolfhart (München): Bakunin, Scheler
Hildebrandt, Hans-Hagen (Essen): Grotius
Hoepner-Peña, Carola (Reichenau): Eriugena
Hoffmann, David Marc (Basel): Steiner
Hogemann, Friedrich (Bochum): Merleau-Ponty
Holenstein, Elmar (Zürich): Jakobson
Holtz, Sabine (Tübingen): Bonaventura
Holz, Hans Heinz (S. Abbondio): Lenin
Horst, Thomas (Stuttgart): Aristippos, Benjamin, Kierkegaard, Rickert
Horster, Detlef (Hannover): A. Adler, Aristoteles, Bloch, Habermas, Luhmann, Sokrates, Thomas von Kempen
Hose, Martin (München): Diogenes Laërtios
Hösle, Vittorio (Tübingen): Lullus
Hoyer, Ulrich (Münster): Gassendi
Hühn, Lore (Berlin): Schopenhauer
Hülle, Alexander (Stuttgart): Melanchthon, C.F. von Weizsäcker
Jamme, Christoph (Jena): Cassirer
Janowski, Franca (Stuttgart): Gentile
Jung, Thomas (Frankfurt am Main): Epiktet
Jung, Werner (Duisburg): Hartmann, Rosenkranz, Ruge
Kaegi, Dominic (Luzern): Heidegger
Kahl, Joachim (Marburg): Topitsch
Karge, Gesine (Berlin): Mach
Keil, Geert (Berlin): Apel, Strawson
Klein, Jürgen (Hamburg): Bacon
Knittel, Elisabeth (Allensbach): Voltaire
Knittel, Hermann (Allensbach): Seuse
Knopf, Jan (Karlsruhe): Korsch
Kocyba, Hermann (Frankfurt am Main): Deleuze
Köller, Wilhelm (Kassel): Peirce
König, Traugott (Frankfurt am Main): Barthes, Kojève, Sartre
Köpf, Ulrich (Tübingen): Bernhard von Clairvaux
Kraus, Manfred (Tübingen): Pyrrhon von Elis
Krauß, Henning (Augsburg): Beauvoir
Kreidt, Dietrich (Stuttgart): Thomasius
Krüger, Marlis (Bremen): Mannheim, Parsons
Kühnl, Reinhard (Marburg): Lukács, Marx/Engels, Spengler
Kulenkampff, Arend (Frankfurt am Main): Reid
Kytzler, Bernhard (Durban): Campanella, Cicero, Joachim da Fiore, Marc Aurel, Morus, Seneca, Xenophon
Laarmann, Matthias (Bochum): Heinrich von Gent
Lachmann, Rolf (Köln): Langer
Lambrecht, Lars (Hamburg): B. Bauer
Lang, Peter Christian (Frankfurt am Main): Adorno, Dilthey, Gadamer, Horkheimer, Plotin, Singer
Lazzari, Alessandro (Luzern): Reinhold
Lohmann, Hans-Martin (Heidelberg): Anders, Freud, Kautsky
Lunau, Martina (Tübingen): M. Mead, Toynbee
Lutz, Bernd (Stuttgart): Anselm von Canterbury, Jaspers, Löwith
Maas, Jörg F. (Hannover): Bayle, Danto, Goodman, Toulmin
Mai, Katharina (Stuttgart): Derrida
Martens, Ekkehard (Hamburg): Platon
Maser, Peter (Telgte): Buber, Scholem
Maurer, Ernstpeter (Dortmund): Quine, Wittgenstein
Meckel, Wolfgang (Staffel): Abaelard, Averroës, Avicenna, Maimonides, Ockham
Mehring, Reinhard (Berlin): Kelsen, Schmitt
Meier, Albert (Kiel): Holbach
Meier, Heinrich (München): L. Strauss
Mensching, Günther (Hamburg): Duns Scotus
Meuter, Norbert (Berlin): MacIntyre
Meyer, Thomas (Dortmund): Nelson
Mohl, Ernst Theodor (Seeheim-Jugenheim): Heß
Münch, Dieter (Berlin): Brentano
Neumann, Sabine (Münster): Flusser
Ollig, Hans-Ludwig (Frankfurt am Main): Cohen, Natorp, Riehl, Windelband
Opitz, Peter J. (München): Voegelin
Peter, Niklaus (Riehen/Basel): Overbeck
Pietsch, Christian (Mainz): Dionysius Areopagita
Pollmann, Karla (St. Andrews): Prudentius
Prechtl, Peter (München): Bentham, Dewey, Hume, James, G.H. Mead, Nussbaum, A. Smith, Taylor
Pries, Christine (Frankfurt am Main): Lyotard
Prill, Ulrich (Münster): Bachelard, Klossowski, Malebranche, Spinoza
Raab, Jürgen (Konstanz): Sennett
Raffelt, Albert (Freiburg): Blondel, Rahner
Rentsch, Thomas (Dresden): Husserl, Lask, Simmel, Suárez
Reschke, Renate (Berlin): Nietzsche
Richter, Mathias (Berlin): Castoriadis, Gorz
Rohr, Barbara (Bremen): Weil
Rommel, Bettina (Freiburg): Alembert, Condillac, Condorcet, Taine
Roughley, Neil (Konstanz): Gehlen
Sandkühler, Hans Jörg (Bremen): Dühring, Labriola, Plechanow, Schelling
Schäfer, Thomas (Berlin): Althusser, Foucault
Scherer, Georg (Oberhausen): Al-Farabi, Pieper, Stein, Thomas von Aquin
Schmidt-Biggemann, Wilhelm (Berlin): Leibniz, Pascal
Schmitz, Bettina (Würzburg): Irigaray, Kristeva
Schmitz, Matthias (Hamburg): Arendt, Herder, W. von Humboldt, Montaigne, Rousseau
Schneider, Thomas (Linsengericht): Hobbes, Locke, Machiavelli
Scholten, Clemens (Köln): Johannes Philoponos
Schönberger, Rolf (Regensburg): Buridanus
Schönwälder, Karen (London): Babeuf
Schorpp, Maria (Konstanz): Popper
Schürgers, Norbert J. (Lauf a. d.Pr.): M. Adler, Russell
Schwab, Hans-Rüdiger (Münster): Albertus Magnus, F. von Baader, L. Büchner, Erasmus von Rotterdam, Hemsterhuis, Reuchlin, Schweitzer
Semler, Christian (Berlin): Heller
Soeffner, Hans-Georg (Konstanz): Goffman
Stoecker, Ralf (Bielefeld): Davidson
Tenigl, Franz (Wien): Klages
Thaidigsmann, Edgar (Ravensburg): Barth, Tillich
Theisen, Joachim (Nea Kifissia/Athen): Meister Eckhart, Tauler
Thiel, Rainer (Marburg): Simplikios
Thoma, Heinz (Halle): Helvétius
Thunecke, Inka (Berlin): Camus
Ulrich, Jörg (Kiel): Hildegard von Bingen
Vietta, Silvio (Hildesheim): Vico
Villwock, Jörg (Niederhausen/Ts.): Blumenberg
Vogt-Spira, Gregor (Greifswald): Menander, Theophrast
Vöhler, Martin (Berlin): Longinos
Voigt, Uwe (Bamberg): Comenius
Vollhardt, Friedrich (Hamburg/Gießen): F. H. Jacobi, Mandeville, Mendelssohn, Shaftesbury
Waszek, Norbert (Paris): Stirner
Weber, Walter (Bremen): Baumgarten, Reimarus, Teilhard de Chardin, Wolff
Weinmann, Martin (Wiesbaden): Bergson
Weiß, Johannes (Kassel): Weber
Welsch, Wolfgang (Magdeburg): Lyotard
Werner, Reinold (Paris): Böhme, Marcel, Nikolaus von Kues
Wetzel, Michael (Bonn): Derrida
Wichmann, Thomas (Berlin): Descartes, Saussure
Wild, Reiner (Mannheim): Hamann
Willaschek, Marcus (Münster): Putnam
Winter, Michael (Koblenz): Fourier, Paine, Sade
Wohlrapp, Harald (Hamburg): Lorenzen
Wolf, Frieder Otto (Berlin): Ferguson, Goldmann, Lefebvre
Wörther, Matthias (München): Kepler, Kopernikus, Whitehead
Wüstehube, Axel (Münster): Moore
Zacher, Klaus-Dieter (Berlin): Demokrit, Epikur, Leukipp, Lukrez, Plutarch
Zeidler, Lothar (Edison/New York): Spencer
Zimmer, Jörg (Girona): Holz
Zimmermann, Bernhard (Konstanz): Anaximenes, Antiphon, Diogenes von Sinope, Kritias, Thales
Zimmermann, Wolfgang (Tübingen): Bruno, Calvin, Pico della Mirandola, Weigel
Zinser, Hartmut (Berlin): Feuerbach

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