Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Autonomie

(1) Als politische Kategorie bedeutet A. die Selbständigkeit eines Staatengebildes, die sich in der Möglichkeit zeigt, über die eigenen Angelegenheiten unabhängig von einer anderen Macht bestimmen und eigene Gesetze erlassen zu können. (2) Als philosophische Kategorie verdankt sie der Kantischen Philosophie ihre Relevanz, die mit dem aufklärerischen Anspruch auftritt, der Mensch müsse sich seiner eigenen Vernunft bedienen, statt sich von fremden Autoritäten und von Tradition bestimmen zu lassen. Für die theoretische Vernunft bedeutet das, eigene Prinzipien der Erkenntnis zu erstellen und deren Reichweite und Grenzen zu bestimmen. Die Affizierung durch die Sinnenwelt, die einer Fremdbestimmung des Bewusstseins gleichkomme, wird zu einem Teilmoment der Verstandesleistung. Der Vernunft obliegt es, die Verbindung empirischer Vorstellungen der Erscheinung gemäß zu leisten. Von größerer philosophischer Wirkung war die Interpretation der A. (im Rahmen der Moralphilosophie) als Selbstbestimmung des Menschen. Dazu gelangt der Mensch nur, wenn er sich von den unmittelbaren Einflüssen sinnlicher Antriebe, Begierden, Leidenschaften und Interessen distanziert. Die A. des Willens ist für den Menschen dann gegeben, wenn er von einer derartigen Fremdbestimmung (Heteronomie) übergeht zu einer Form der Selbstbestimmung, in der sich der Wille ein eigenes Gesetz gibt. Ein solches Gesetz muss unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Willens formuliert werden, da sonst wieder ein Naturgesetz in Gestalt von Neigungen und Leidenschaften wirksam wird. Deshalb erscheint es Kant als zwingend, dass sich der Wille nur in Bezug auf die Form des Wollens in Gestalt eines allgemeinen Gesetzes selbst bestimmen könne. Als Prinzip der A. resultiert daraus der kategorische Imperativ, nicht anders zu wählen als so, dass die Maxime seiner Wahl zugleich als allgemeines Gesetz mitbegriffen sei (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten). Die widerspruchsfreie Verallgemeinerbarkeit subjektiver Handlungsregeln wird so zum Maßstab dafür, dass der Mensch sich seines Willens autonom bedient. A. realisiert sich in Gestalt des vernünftigen Willens, d.h. in vernünftiger Selbstbestimmung. (3) Die Kantische Bestimmung erhält zahlreiche Umformulierungen. Im deutschen Idealismus machen vor allem Fichte und Schelling über Kant hinausweisende Vorschläge: Für Fichte ist die absolute Existenz und A. des Ich der erste und unbestimmte Grundsatz, in dem die allem Bewusstsein zugrunde liegende Tathandlung zum Ausdruck kommt. Sie bedeutet (a) eine ununterbrochene Gesetzgebung des vernünftigen Wesens an sich selbst; (b) absolute Unbestimmbarkeit durch irgendetwas außer dem Ich; (c) absolute Reflexion auf sich selbst. Alle Bestimmungen gründen in der A. der Vernunft. Schelling bezeichnet das innere Prinzip allen Vorstellens und Konstruierens als ursprüngliches Handeln des Geistes in Bezug auf sich selbst, wodurch die ursprüngliche A. zur Geltung kommt. (4) Adorno überträgt den Begriff der A. in den gesellschaftstheoretischen Bereich: Der Mensch bedarf zu seiner A. der Freiheit von ihn fremdbestimmenden gesellschaftlichen Kräften.

Literatur:

  • Th. W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt 1966
  • R. Bittner: Moralisches Gebot oder Autonomie. Freiburg/München 1983
  • J. G. Fichte: Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1963
  • O. Höffe: Freiheit. In: Ders. (Hg.): Lexikon der Ethik. München 31986. S. 62 ff
  • I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
  • A. Pieper: Einführung in die Ethik. Tübingen 21991. S. 138 ff
  • R. Pohlmann: Autonomie. In: HWPh
  • F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Hamburg 1962.

PP

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.