Metzler Lexikon Philosophie: Reflexion
(lat. reflectere: zurückbeugen), aus der Optik stammender Grundbegriff der neuzeitlichen Philosophie, der zunächst den Selbstbezug des denkenden Ich bezeichnet, wie er von Descartes als Grundlage aller Wissenschaft in Anspruch genommen wurde. – Die Selbstbezüglichkeit des Denkens hatte zwar schon in der Antike eine bedeutsame Rolle gespielt. Dennoch kommt weder der platonischen Deutung des delphischen »Erkenne dich selbst!«, noch dem aristotelischen »Denken des Denkens« oder der neuplatonischen »Rückwendung« des Geistes eine systematische Bedeutung zu, wie sie die R. im Zusammenhang mit der Herausbildung des neuzeitlichen Subjekts gewinnen konnte. – Nachdem Descartes hierfür den sachlichen Ansatzpunkt geliefert hatte, setzt sich mit Lockes Unterscheidung von R. und Wahrnehmung äußerer Objekte auch der bereits bei Thomas von Aquin anzutreffende Terminus »R.« durch. Demnach kann nur die R. zu Ideen von den Tätigkeiten unseres eigenen Verstandes führen. – Wenn die Wahrnehmung bei Locke gleichwohl häufig als einzig wirkliche Quelle von Erkenntnis erscheint, so führt Kant dies auf eine »Amphibolie der Reflexionsbegriffe« zurück, die sich als eine Verwechslung von Ding an sich und Erscheinung unweigerlich einstelle, solange nicht in einer transzendentalen R. geklärt worden sei, zu welchem Erkenntnisvermögen gegebene Begriffe gehörten. Derselben Verwechslung, wenn auch mit der umgekehrten Konsequenz der Intellektualisierung von Erscheinungen, erliege auch Leibniz. Daneben kennt Kant eine ästhetisch bzw. teleologisch reflektierende Urteilskraft, die anders als die in der Wissenschaft angesiedelte bestimmende Urteilskraft nicht subsumierend vorgehe, sondern zu einem gegebenen Besonderen allererst ein Allgemeines suche.
Eine zentrale, wenn auch ambivalente Stellung erlangt der Begriff der R. im Deutschen Idealismus. So wird der bis auf Rousseaus Kulturkritik zurückgehende Gedanke, dass R. wesentlich Trennung sei und insofern für die Zerrissenheit der modernen Welt verantwortlich gemacht werden müsse, im Anschluss an Fichte immer wieder mit der Auffassung verbunden, allein durch R. könne die verlorene Einheit wiederhergestellt werden. Zu denken ist dabei v.a. an Hegel, der dies durch eine »Reflexion der Reflexion« zu erreichen versucht. Dabei gelangt er zu einer Bestimmung der R., nach der sie keine bloß subjektive Tätigkeit mehr ist, sondern das sich in sich selbst Reflektieren des Seins bzw. des aus dem Sein resultierenden Wesens. – Hatte sich im Psychologismus des 19. Jh. die alte Auffassung der R. als einer Tätigkeit des Subjekts bis zu ihrer Behandlung als etwas bloß empirisch Gegebenes radikalisiert, knüpft Husserl wieder an den cartesischen Grundgedanken an, indem er R. als Bezeichnung jener selbstbezüglichen Akte versteht, in denen sich das Bewusstsein durchsichtig und durch eine phänomenologische »Bewusstseinsmethode« überhaupt analysierbar wird. Gleichwohl überwiegt in der Philosophie des 20. Jh. die aus einer Kritik an Husserl hervorgegangene und an Hegel erneuerte Überzeugung, dass R. eine Trennung produziere, die auch durch ihren Selbstbezug nicht aufgefangen werden könne.
Literatur:
- W. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Bern 1920
- D. Henrich: Hegels Logik der Reflexion. In: Ders.: Hegel im Kontext. Frankfurt 1971
- E. Husserl: Ideen I. Hua Bd. 3. Den Haag 1950 ff. Bes. § 78
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. Anh. zur Transzendentalen Analytik
- J. Locke: Essay. Hamburg 1968. II, 6, 7
- K. Oehler: Die Lehre vom Noetischen und Dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles. München 1962
- W. Schulz: Das Problem der absoluten Reflexion. Frankfurt 1963
- J. Starobinski: J.-J. Rousseau et le péril de la réflection. In: Ders.: L’il vivant. Paris 1961
- H. Wagner: Philosophie und Reflexion. München 1959.
WAM
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