Lexikon der Physik: Rastersondenmikroskopie
Rastersondenmikroskopie
Nikolaus Nestle, Leipzig, und Harald Fuchs, Münster
Unter dem Begriff Rastersondenmikroskopie werden verschiedenartige Meßverfahren zur Analyse von Oberflächen zusammengefaßt (Ober- und Grenzflächenphysik), bei denen eine Meßsonde in geringem Abstand über die Oberfläche geführt wird. In diesem Artikel soll ein Überblick über diese Verfahren und ihre aktuellen Entwicklungsperspektiven gegeben werden.
Grundprinzip und Geschichte
Das erste Rastersondenverfahren ist die 1981 von G. Binnig und H. Rohrer eingeführte Rastertunnelmikroskopie (STM). Sie basiert auf dem quantenmechanischen Tunneln von Elektronen (Tunneleffekt) zwischen einer leitfähigen Oberfläche und einer Metallspitze, die sich in einem Abstand von etwa 1 nm von der Oberfläche befindet. Die Position der Spitze relativ zur Oberfläche (erforderliche Genauigkeit: mindestens 0,01 nm) wird dabei durch sog. Piezoaktuatoren (›Piezos‹) kontrolliert. Diese Positionskontrolle einer Meßsonde vermittels Piezoaktuatoren ist allen Rastersondenverfahren gemeinsam und soll deshalb hier kurz etwas näher erläutert werden.
Rastern der Oberfläche mit Piezoaktuatoren
Die Funktion dieser Positioniertechnik basiert auf dem elektrostriktiven oder inversen piezoelektrischen Effekt (Piezoeffekt, Elektrostriktion). Solche Aktuatoren können durch elektrische Spannungen vom Computer aus angesteuert werden und erlauben eine extrem genaue Positionierung auch vergleichsweise schwerer Lasten im Bereich von mehreren Gramm. Diese ermöglicht dann ein kontrolliertes Abrastern der zu untersuchenden Oberfläche. Verschiedene Aufbauformen für Piezoaktuatoren sind in Abb. 1 wiedergegeben. Eine einfache Möglichkeit, aus solchen Elementen eine Vorrichtung zur dreidimensionalen Abrasterung einer Oberfläche zu konstruieren, ist in Abb. 2 abgebildet. Obwohl Piezoaktuatoren über kurze Zeiten hinweg eine extrem gute Positionierungskontrolle auf der Nanometerskala erlauben, gibt es über längere Zeiten hinweg Probleme mit Hysterese- und Drifterscheinungen. Die Kontrolle und Kompensation solcher Vorgänge stellt deshalb eine wichtige technische Voraussetzung für den Bau praxistauglicher Rastersondensysteme dar.
Die über die für die Feinrasterung verwendeten Piezoaktuatoren erreichbaren Verstellwege liegen typischerweise im Bereich von höchstens einigen 10-100 μm. Deshalb wird diese Positionierungstechnologie in Rastersondenmikroskopen üblicherweise durch eine oder mehrere weitere Grobpositioniereinrichtungen ergänzt (siehe Abb. 3 und Abb. 4 ).
Überraschende Stabilität
Die ersten Experimente zur Rastertunnelmikroskopie fanden bei Heliumtemperatur (3He) im Ultrahochvakuum und unter Verwendung einer extrem aufwendigen magnetischen Schwingungsisolation (Aufbau auf schwebender, supraleitender Platte gelagert) statt. Diese Bedingungen wurden gewählt, weil man erwartete, daß von außen eingekoppelte Schwingungen oder auch bereits die thermische Bewegung zu Schwingungen zwischen der Tunnelspitze und der Probenoberfläche führen könnten, die eine kontrollierte Führung der Spitze über die Oberfläche im Abstand von einigen wenigen Atomlagen praktisch unmöglich machen würden.
In der Folgezeit hat sich jedoch bald gezeigt, daß bei hinreichender mechanischer Stabilität des Systems durch Probe-Rastersondenträger kaum Relativschwingungen zwischen Sonde und Probe angeregt werden (und nur diese würden ja die Messung stören). Deshalb kann bereits mit wesentlich einfacheren mechanischen Dämpfungssystemen (z.B. Lagerung des Mikroskops auf einem Stapel von Dämpferplatten (siehe Abb. 3 )) eine ausreichende Schwingungsisolation erreicht werden. Sofern keine Höchstauflösungen erreicht werden sollen, können kommerzielle Rastersondensysteme heute teilweise auch ohne jede Schwingungsisolation auf einem ganz normalen Tisch betrieben werden (siehe Abb. 4 ).
Grundtypen von Rastersondenverfahren
Ausgehend von den Erfolgen der Rastertunnelmikroskopie, mit der 1982 die atomar aufgelöste Abbildung leitfähiger Oberflächen gelang, wurde in den darauffolgenden Jahren eine Vielzahl weiterer Rastersonden-Verfahren entwickelt, die zunächst hier als Grundtypen vorgestellt werden sollen:
- 1984 die optische Nahfeldmikroskopie (Nahfeldmikroskopie, optische), bei der die Transmission von Licht aus einer Sonde mit einer Apertur von einigen nm durch eine Probe bestimmt wird bzw. mit vergleichbar kleiner Apertur das Licht einer selbstleuchtenden Probe detektiert wird.
- 1986 die Rasterkraftmikroskopie (AFM), die sich mittlerweile durch die Erschließung immer weiterer Kraftwechselwirkungen als Kontrastmechanismen als besonders vielfältig erweisen hat. Die ersten Rasterkraftmikroskope arbeiteten dabei mit einer Tunnelspitze als Detektor, mit der der Abstand zwischen dem eigentlichen Sensor und der Oberfläche über die Tunnelspannung zwischen Sensor-Rückseite und Detektionsspitze gemessen wurde (siehe Abb. 5 ). Das heute weitaus wichtigere Detektionsprinzip ist dagegen die Detektion über einen Laserstrahl als Lichtzeiger (›Laser-Kraftmikroskop›, siehe Abb. 6 ), bei dem die Resonanzfrequenz und -phase des über der abzubildenden Oberfläche schwingenden Kantilever-Sensors (siehe Abb. 7 ) über die Reflexionen eines Laserstrahls an der Rückseite des Sensors bestimmt wird. Je nach der Art der genutzten Spitze können bei dieser Methode unterschiedliche Kräfte als Abbildunsgkonstrast genutzt werden. Eine kurze Übersicht wird im folgenden Abschnitt gegeben.
- Ebenfalls 1986 wurde mit dem Rasterwärmemikroskop schließlich ein weiterer Grundtyp eines Rastersondenmikroskops vorgestellt, bei dem eine miniaturisierte Variante eines konventionellen Sensors (in diesem Falle ein Thermoelement) als Rastersonde dient. Mittlerweile wurden eine ganze Reihe verschiedener solcher Sondenmikroskope entwickelt, auf die weiter unten nochmals kurz eingegangen werden soll.
Betriebsmodi der Rastertunnelmikroskopie
Der Kontrast in der Rastertunnelmikroskopie kann auf verschiedenen Parametern beruhen:
- Tunnelstrom bei konstantem Abstand Probe-Oberfläche,
- Abstand bei konstantem Tunnelstrom,
- photoinduzierte Tunnelströme bei gleichzeitiger Beleuchtung.
Neben der Aufnahme eines Bildes bei einem Tunnelstrom kann auch für jeden Punkt des Bildes eine Strom-Abstandskurve bei einer Tunnelspannung oder eine Strom-Spannungskennlinie des Tunnelkontakts aufgenommen werden.
Kontrastmechanismen bei der Rasterkraftmikroskopie
Die erste realisierte Form der Rasterkraftmikroskopie arbeitete im sog. Kontaktmodus, bei dem die abstoßende Wechselwirkung zwischen der Probe und der Spitze (siehe Abb. 8 ) bei direkter Berührung gemessen wird.
Hierbei kann es auf Grund der repulsiven Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe und der beim Scannen auftretetenden Lateralkraft zu lokalen irreversiblen Veränderungen der Probenoberfläche bis hin zu ihrer Zerstörung kommen. Dies tritt insbesondere bei weichen Proben wie Polymeren und Biomaterialien auf. Dieses Problem kann bei der Verwendung dynamischer AFM-Methoden weitgehend vermieden werden. Beim dynamischen sog. non-contact mode werden die im Vergleich zu den repulsiven Kräften des contact modes wesentlich kleineren, attraktiven langreichweitigen Van-der-Waals-Kräfte gemessen (typische Größenordnung 10-13 N). Durch spezielle Modulationstechniken ist es möglich, nicht nur eine Topographie der Oberfläche, sondern auch die an ihr herrschenden Reibungskräfte (Reibungsmikroskopie) oder ihr (visko)elastisches Verhalten (Kraftmodulationsmikroksopie, siehe Abb. 9 ) zu bestimmen.
Anstelle dieser Kräfte können bei der Verwendung spezifischer Spitzen auch andere langreichweitige Kräfte nach dem gleichen Prinzip gemessen werden. Bei der Magnetkraftmikroskopie (MFM) wird beispielsweise die magnetische Wechselwirkung zwischen einer magnetischen Spitze und der Oberfläche registriert. Das hierdurch resultierende Bild (siehe Abb. 10 ) zeigt einen Kontrast, der v.a. durch die Feldgradienten im Bereich von Domänengrenzen bestimmt ist. Ähnlich können auch elektrische Felder der Probe mit einer Spitze gemesen werden, die ihrerseits elektrisch geladen wurde (EFM).Wegen des großen Abstandes zur Oberfläche wird diese Messung nicht durch den Tunneleffekt gestört.
Sondenmikroskopie mit Sensoren
Unter den Mikroskopien mit miniaturisierten Sensoren sind vor allem elektrochemische Rastermikroskopien von Bedeutung: die Rasterionenleitungsmikroskopie und die elektrochemische Rastermikroskopie, bei der eine Mikrokapillare (siehe Abb. 11 ) bzw. eine Mikroelektrode über die Oberfläche gerastert werden. Diese Methode erlaubt die Gewinnung von ortsaufgelösten elektrochemischen Informationen über die Probe. Solche Messungen können beispielsweise wichtige Beiträge zur Untersuchung von Korrosionsvorgängen oder zu Lokalisierung von Ionenkanälen in biologischen oder technischen Membranen liefern (siehe Abb. 12 )
Auch zur Messung von magnetischen Feldern werden zur Zeit Verfahren mit miniaturisierten Hall- oder GMR-Sensoren diskutiert. Im Gegensatz zur Magnetkraftmikroskopie können hier direkt die magnetischen Felder lokalisiert werden, während der Kontrast bei der Magnetkraftmikroskopie von Feldgradienten herrührt.
Entwicklungsperspektiven
Wesentliche Entwicklungsperspektiven in der Rastersondenmikroskopie sind vor allem die Erschließung immer neuer, spezifischerer Kontrastmechanismen (›chemischer Kontrast‹) für die Kraftmikroskopie. Aktuelle Beispiele hierfür sind z.B. die Magnetresonanzkraftmikroskopie (magnetische Resonanz) und die Immunokraftmikroskopie, bei der Antikörper auf die Spitze eines AFM aufgebracht werden und ihre Wechselwirkungskräfte mit einer Oberfläche erfaßt wird.
Eine weitere interessante Entwicklung ist der Einsatz von Rastersondenmethoden für Strukturierungsanwendungen (siehe Abb. 13 und Abb. 14 ), bei denen die Spitze entweder lediglich als mechanisches Verschiebe-Werkzeug wirkt oder durch Anlegen geeigneter Felder örtlich zu Materialanlagerung oder -abtrag führt (elektrochemisch oder thermisch).
Schließlich ist die Theorie der Rastersondenverfahren ein Gebiet, in dem es trotz der vielfältigen Erfolge auf der experimentellen Seite noch extrem viele offene Fragen gibt.
Literatur:
C. Hamann, M. Hietschold, Raster-Tunnel-Mikroskopie, Akademie-Verlag, 1991.
R. Wiesendanger, Scanning probe Microscopy and Spectroscopy, Methods and Applications, Cambridge Univ. Press, 1994.
C. Julian Chen, Introduction to Scanning Tunneling Microscopy, Oxford Univ. Press, 1993.
B. Anczykowski, L.F. Chi, H. Fuchs, B. Gotsmann, Rasterkraftmikroskopie – tastend durch die Nanowelt, Spektrum der Wissenschaft, Dez. 1999.
Rastersondenmikroskopie 1: Typische Aufbauten von Piezoaktuatoren, wie sie in Rastersonden-Mikroskopen verwendet werden: a) Linearaktuator durch Ausnutzung des Quereffekts bei Anlegen einer Spannung in einem einfachen Stab, b) Rohrscanner, c) Bimorph (Biegung bei Anlegen einer Spannung).
Rastersondenmikroskopie 2: Einfache Tripod-Anordnung zur dreidimensionalen Positionierung mit Linearaktuatoren.
Rastersondenmikroskopie 3: Auf einem Stapel von Platten zur Schwingungsisolierung gelagerter STM-Aufbau zum Einsatz unter Raumbedingungen. Links im Bild sind die Piezoaktuatoren für die Positionierung der Spitze zu sehen; eine gröbere Positionierung kann durch Ansteuerung des aus einer Piezoplatte gefertigten Probenträgers ("Laus") rechts im Bild erreicht werden.
Rastersondenmikroskopie 4: Tastkopf eines kommerziellen, hochintegrierten AFMs, das ohne Schwingungsisolierung auf die untersuchende Oberfläche aufgelegt werden kann. Die Grobjustierung des Arbeitsabstands erfolgt über die drei Schrauben am Rand. (Quelle: Klaus Schäfer GmbH, Langen).
Rastersondenmikroskopie 5: Kraftmikroskopie mit Abstandsdetektion durch einen Tunnelsensor.
Rastersondenmikroskopie 6: Übliches Aufbauschema eines AFMs mit Lichtzeigerdetektion: Die Schwingung des Kantilevers wird durch die Bewegung des Laserreflexes auf dem Detektor erfaßt.
Rastersondenmikroskopie 7: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines AFM-Kantilever-Sensors. Der lange, freitragende Balken wirkt als Blattfeder mit niedriger Federkonstante. (Quelle: Uni Münster, Physikalisches Institut)
Rastersondenmikroskopie 8: Potentialverlauf zwischen AFM-Spitze und Oberfläche. Im Bild sind die Abstandsbereiche für die üblichen Kontrastmodi angedeutet.
Rastersondenmikroskopie 9: Topographie (links) und Kraftmodulationsmikroskopie (rechts) an Domänen einer Stearinsäure-Mesophase. Die Ordnung in den Domänen ist nur in der Kraftmodulationsaufnahme zu sehen. Quelle: (Uni Münster, Physikalisches Institut)
Rastersondenmikroskopie 10: Topographie (links) und magnetische Donänenstruktur (rechts) (mit dem MFM aufgenommen) eines magnetischen Speichermediums. Bildausschnitt: 15µmX15µm. (Quelle: Uni Münster, Physikalisches Institut)
Rastersondenmikroskopie 11: Elektronenmikroskopische Aufnahme der Spitze eines Kapillarsensors für die Ionenleitungsmikroskopie (goldbedampft). Der Innendurchmesser der Kapillaröffnung beträgt unter 50 nm. (Quelle: Uni Münster, Physikalisches Institut)
Rastersondenmikroskopie 12: Ionenleitungsmikroskopaufnahme der Oberfläche einer Polycarbonatmembran mit Poren, die einen Durchmesser von ca. 400 Nanometern besitzen. Die statistisch verteilten Poren sind als helle Bereiche (höhere Ionenkonzentration) erkennbar. (Quelle: Uni Münster, Physikalisches Institut)
Rastersondenmikroskopie 13: Mechanische Strukturierung von Oberflächen mit einer AFM-Spitze ("Nanoindenting").
Rastersondenmikroskopie 14: Durch Nanoindenting in eine Polymerschicht mit Makroporen geschriebenes Logo der Universität Münster (AFM-Bild, Quelle: Physikalisches Institut Universität Münster)
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