Lexikon der Psychologie: Freud
Freud, Sigmund, 1856-1939, Der österreichische Neurologe Sigismund Schlomo Freud (erst mit zweiundzwanzig Jahren nannte er sich Sigmund) ist der Begründer der Psychoanalyse. Er wollte von Kindheit an Jurist werden, entschied sich jedoch kurz vor Aufnahme des Studiums anders und schrieb sich 1873 an der Universität Wien in Medizin ein. In seinem dritten Studienjahr begann Freud unter der Leitung des deutschen Arztes Ernst Wilhelm von Brücke im physiologischen Labor mit Forschungsarbeiten zum Zentralnervensystem. Die neurologische Forschung begeisterte ihn derart, daß er andere Kurse nicht belegte und drei Jahre länger studieren mußte als üblich. Nach dem Studium war er drei Jahre als Assistent von Theodor Meynert an der Psychiatrischen Klinik tätig. 1885 erhielt er an der Universität Wien eine Stelle als Privatdozent für Neuropathologie und verließ das Krankenhaus. Im selben Jahr wurde ihm ein staatliches Stipendium gewährt, das ihm das Studium bei dem Psychiater Jean M. Charcot in Paris ermöglichte, der die neurologischen Krankheiten mit Hypnose behandelte. Zurück in Wien heiratete er 1886 Martha Bernays und eröffnete eine Privatpraxis. Da er Charcots damals als unorthodox geltende Auffassungen zur Hysterie und Hypnosetherapie nachdrücklich vertrat, stieß er in der Wiener Ärzteschaft auf heftigen Widerstand. Anfangs behandelte Freud "nervöse Leiden" mit Elektrotherapie und Hypnose. Aber bereits 1882 hatte ihm der Wiener Arzt Josef Breuer, mit dem er seit 1878 befreundet war, von dessen Patientin Anna O. berichtet. Davon ließ sich Freud 1888 für die Behandlung seiner Patientin Emmy von N. inspirieren. und 1892 arbeiteten beide zusammen. 1893 veröffentlichten Freud und Breuer die Vorläufige Mitteilung, die 1895 überarbeitet und erweitert als Studien über Hysterie erschien. Mit diesen beiden Werken wurden die Anfänge einer auf klinischen Beobachtungen basierenden psychoanalytischen Theoriebildung gesetzt. Die Symptome der Hysterie werden darin als Manifestationen nicht abgeführter emotionaler Energie verstanden, die mit verdrängten psychischen Traumata zusammenhängen. 1896 benutzte Freud erstmals den Begriff "Psychoanalyse". Zwischen 1895 und 1900 formulierte er einen Großteil der Konzepte, die zum Kern der psychoanalytischen Lehre und Praxis wurden. Bald nach der Veröffentlichung der Studien über Hysterie gab er den Einsatz der Hypnose als kathartisches Verfahren auf und entwickelte die Methode der freien Assoziation. Aus seinen klinischen Beobachtungen erschloß Freud die Existenz der psychischen Mechanismen der Verdrängung und des Widerstandessowie die Theorie der Übertragung. Die Deutung von Träumen führte ihn zu seinen Theorien der infantilenSexualität und des Ödipuskomplexes. Aufgrund eigener neurotischer Störungen begann Freud 1897 anhand eines Briefwechsels mit dem Berliner Hals- und Nasenspezialisten Wilhelm Fliess mit einer Selbstanalyse, die in seinem 1900 veröffentlichten Buch "Die Traumdeutung" resultierte (von dem in den ersten sechs Jahren nur 360 Exemplare verkauft wurden und das erst 1909 in zweiter Auflage erschien). 1902 wurde Freud aufgrund der Bemühungen eines äußerst einflußreichen Patienten zum außerplanmäßigen Professor an der Wiener Universität ernannt. Im selben Jahr sammelten sich vier Wiener Ärzte um Freud und gründeten die "Psychologische Mittwochsgesellschaft": Alfred Adler, Wilhelm Stekel, Rudolf Reitler und Max Kahane. 1903 folgte Paul Federn, 1906 Otto Rank, 1907 Karl Abraham und C.G. Jung, 1908 Sándor Ferenczi und Ernest Jones. 1910 ging aus diesem Kreis die "Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) hervor. 1912 erfolgt die Gründung der psychoanalytischen Zeitschrift "Imago", 1919 des "Internationalen Psychoanalytischen Verlags", 1920 des "International Journal of Psycho Analysis". Während die Bewegung sich ausweitete und in ganz Europa und den Vereinigten Staaten neue Anhänger gewann, kam es zwischen Freud und einigen Mitgliedern seines Kreises zu heftigen Kontroversen. 1911 trennen sich Alfred Adler und sechs seiner Anhänger von Freud,1912 Wilhelm Stekel, 1913 C.G. Jung, 1924 Otto Rank. 1932 lehnt Sándor Ferenczi das Amt des Präsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ab, da er in vielen Punkten der psychoanalytischen Theorie nicht mehr mit Freud übereinstimmt. Sie entwickelten eigene Theoriegebäude und gründeten ihre eigenen Schulen. 1923 erkrankte Freud an Gaumenkrebs, es erfolgte die erste von 33 Operationen, die er bis zu seinem Tod erdulden mußte. Er hatte Sprechschwierigkeiten und Schmerzen, die er stoisch ertrug und durch die er sich auch nicht davon abhalten ließ, bis zu seinem Tod Patienten zu behandeln. Mit dem Rauchen hört er allerdings erst 1930 nach einem Herzanfall auf. Nach der deutschen Besetzung Österreichs 1938 floh Freud mit seiner Familie nach London, wo er 14 Monate darauf an einem inoperablen Kiefertumor starb. Die große wissenschaftliche Leistung Freuds besteht darin, durch seine Theorie des Unbewußten ein völlig neues Verständnis der menschlichen Persönlichkeit ermöglicht zu haben. Er selbst meinte dazu: "Ich hatte das Glück, das Unbewußte zu entdecken".
Ge.Ti.
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