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Lexikon der Neurowissenschaft: circadianer Rhythmus

circadianer Rhythmusm [von latein. circa = um... herum, dies = Tag, griechisch rhythmos = Zeitmaß], circadiane Rhythmik, 24-Stunden-Rhythmik, zirkadiane Periodik, tageszeitlicher Rhythmus, Ecircadian rhythm, 1954 von F. Halberg eingeführte Bezeichnung für eine biologische Dynamik, die durch endogene Oszillationen metabolischer oder physiologischer Aktivität oder des Verhaltens mit einer Periodizität von ungefähr 24 (20-28) Stunden verursacht wird, unabhängig davon, ob der Rhythmus von externen Faktoren beeinflußt wird oder nicht ( siehe Tab. ). Die Rhythmik wird auf genetischer Basis gesteuert und durch den Stoffwechsel realisiert. Im natürlichen Tag-Nacht-Wechsel wird sie auf 24 Stunden synchronisiert (siehe unten). Sie hält auch dann noch in Geweben oder Organen an, wenn diese aus einem Organismus isoliert werden. Bei tagaktiven Organismen ist der circadiane Rhythmus meist etwas länger als 24 Stunden, bei nachtaktiven etwas kürzer (Aschoff-Regel). Andere Rhythmen werden je nach ihrer Periode als ultradian (kürzer als 20 Stunden, z.B. Periodizitäten im Elektroencephalogramm), infradian (länger als 28 Stunden), circadiseptan (14±3 Tage), circaannual (1 Jahr ± 2 Monate), circaseptan ("7-Tage-Rhythmus", 7±3 Tage, kann mit dem Wochenkalender synchronisiert sein), circatrigintan ("Monatsrhythmik", 30±5 Tage, z.B. Menstruationszyklus), circavigintan (20±3 Tage) usw. bezeichnet. – Die circadiane Rhythmik regelt die zeitliche Einordnung der Lebensvorgänge in den Tagesablauf und gehört zum Grundbauplan der eukaryoten Lebewesen. Die Schwingung ist selbsterregend und bleibt deshalb in der Regel zeitlebens bestehen. Die anatomische Entsprechung einer solchen circadianen Uhr kann unterschiedliche Organisationsebenen betreffen: sie kann einem Organ entsprechen (z.B. Epiphyse), einem Zelltyp (z.B. basale retinale Neurone von Aplysia) oder auch nur einem subzellulären Oszillatormechanismus (z.B. period-Gen von Drosophila) mit seinen Ein- und Ausgangsstrukturen. Die circadiane Uhr hat eine sehr hohe Ganggenauigkeit, welche sie in erster Linie der Temperaturkompensation der Periodenlänge und der Organisation als Multioszillatornetz zu verdanken hat. Dies zeigt sich z.B. bei der circadianen Periodenlänge, mit der Drosophila-Fliegen aus ihren Puppenhüllen schlüpfen: sie ist von der Umgebungstemperatur weitestgehend unabhängig. Die Bedeutung des Multioszillatornetzes konnte an den basalen retinalen Neuronen von Aplysia gezeigt werden: diese Neurone können selbständige circadiane Rhythmusgeneratoren sein; allerdings arbeiten sie sehr ungenau, solange nur wenige (unter 10) dieser Schrittmacher im Gewebeverband verschaltet sind. Dagegen zeigt der intakte Schrittmacher aus ca. 100 Neuronen eine hohe Präzision. Die Ganggenauigkeit der circadianen Uhr muß allerdings durch Zeitgeber, wiederholte synchronisierte Reize, immer wieder phasenkorrigiert werden. Diese Phasenkorrekturen (z.B. durch einzelne Lichtreize) folgen mit der Phasen-Response-Kurve einer für alle circadianen Systeme universell gültigen Gesetzmäßigkeit und werden durch Zeitgeber erreicht, indem sie dem circadianen Rhythmus eine zusätzliche Frequenz innerhalb eines Mitnahmebereichs (z.B. 18 bis 30 h) aufzwingen. Der tägliche Hell-Dunkel-Wechsel ist dabei für alle Organismen der stärkste Zeitgeber. Die dafür verantwortlichen circadianen Oszillatoren sind, sofern sie Schrittmacherfunktion für das gesamte System erfüllen, neuronaler Natur und liegen generell in den Sehsystemen. Am besten untersucht sind in Invertebraten die bereits genannten basalen retinalen Neurone von Aplysia, sowie Zellen des Lobus opticus von Drosophila (Arthropoden-Circadianrhythmik). Bei Vertebraten üben zwei Zentren die Funktion des obersten circadianen Schrittmachers aus: die Epiphyse, eine photorezeptive Ausstülpung des Zwischenhirndaches, und der Nucleus suprachiasmaticus, ein Kerngebiet oberhalb der in das Zwischenhirn eintretenden und sich dabei überkreuzenden Sehnerven (Chiasma opticum). – Der primäre Generatormechanismus der circadianen Rhythmik beruht höchstwahrscheinlich auf Rückkopplungsprozessen in der Proteinbiosynthese. Dies zeigt das Beispiel von Drosophila, wo eine oszillierende negative Rückkopplungsschleife der Proteine period und timeless und der damit verbundenen verzögerten Transkription ihrer eigenen Gene die circadiane Rhythmik steuert. In die Umsetzung der circadianen Information aus der Proteinsynthese in frequenzcodierte Nervenimpulse sind Calcium-abhängige Mechanismen involviert. Die circadiane Signalübertragung (Kopplung) bedient sich dabei aller bekannten Wege der Informationsweiterleitung im Organismus, von hormonellen (Hormone) über neuromodulatorische Mechanismen (Neuromodulatoren) bis hin zu strikt fasergebundener Übertragung durch Neurotransmitter. biologische Rhythmen, Biorhythmik, Chronobiologie, Chronophysiologie.

F.H./R.V.

Neuroendokrinologie und circadiane Rhythmik: Circadiane Rhythmen, also Rhythmen mit einer Periodenlänge von ungefähr 24 Stunden, modulieren die meisten Verhaltensweisen im Rahmen des Wechsels zwischen Aktivität und Inaktivität sowie Wachheit und Schlaf sowie die meisten zentralnervösen und peripherphysiologischen Körperfunktionen. Die Rhythmen werden zentralnervös durch Oszillatoren induziert, von denen zwei im Hypothalamus (Nucleus suprachiasmaticus und ventromedialer Hypothalamus) lokalisiert sind. Zeitgebersignale wie z.B. der Hell-Dunkel-Wechsel passen die Rhythmen an entsprechende Umweltveränderungen an. Neuroendokrine Prozesse spielen auf allen Ebenen der circadianen Regulation eine zentrale Rolle. So wirkt z.B. das Hell-Dunkel-Zeitgebersignal nicht nur direkt (über retino-hypothalamische Verbindungen) auf den Nucleus suprachiasmaticus und die hypothalamischen Schrittmacherstrukturen, sondern auch über die Hemmung (bei Licht) und Enthemmung (bei Dunkelheit) der Freisetzung des Melatonins, einem Neurohormon der Epiphyse. Durch Einnahme von Melatonin kann dementsprechend die Phase des circadianen Rhythmus gezielt verschoben werden (was z.B. für die Behandlung von jet-lags genutzt werden kann). Innerhalb des Nucleus suprachiasmaticus bestimmt neben anderen Neuropeptiden, wie etwa Somatostatin, das Vasopressin wesentlich die Amplitude circadianer Rhythmik. Etwa 20% aller Neurone des dorsomedialen Nucleus suprachiasmaticus synthetisieren Vasopressin, und etwa 40% aller Neurone dieses Kerns reagieren auf Vasopressin. Über entsprechende vasopressinerge Verbindungen mit anderen hypothalamischen und extrahypothalamischen Hirnregionen, möglicherweise aber auch über die Freisetzung in die Cerebrospinalflüssigkeit, werden circadiane Einflüsse auf andere zentralnervöse Funktionen, insbesondere auch auf die endokrinen Steuerungsstrukturen des Hypothalamus-Hypophysen-Systems übertragen. Die meisten endokrinen Achsen dieses Systems zeigen eine sehr ausgeprägte circadiane Rhythmik, so etwa die sekretorische Aktivität im Hypophysen-Nebennierenrinden-System (mit den Haupthormonen Cortisol und adrenocorticotropes Hormon), die beim Menschen ihr Tagesminimum in den frühen Abendstunden und ihr Maximum in den frühen Morgenstunden zeigt. Dazu phasenverschoben zeigt die Aktivität der Schilddrüsenhormonachse (Thyreotropin) ihr Tagesmaximum in den Abendstunden. Die Aktivität anderer endokriner Achsen, wie etwa des somatotropen Systems, wird primär über den Schlaf-Wach-Wechsel reguliert und unterliegt damit nur indirekt dem Einfluß circadianer Oszillatoren. Die circadianen Oszillationen endokriner Aktivität führen, zusammen mit gleichgerichteten Einflüssen des vegetativen Nervensystems, zu parallelen Schwankungen in der Aktivität der meisten peripheren Organsysteme.

J.B.

circadianer Rhythmus

Einige physiologische Modelle für circadiane Uhren

Modell Schlüsselkomponenten
molekular Periodizität in der Struktur und Eigenschaft von Molekülen (z.B. Konformationsänderungen aufgrund von Phosphorylierung und Dephosphorylierung)
biochemisches Netzwerk Oszillation von Stoffwechselprodukten und -prozessen (z.B. cAMP, NAD+)
Rhythmische Synthese oder Modifikation von Enzymen
Gekoppelte Oszillationen verschiedener Komponenten, eventuell sogar der Stoffwechselaktivitäten verschiedener Endosymbionten
Transkription Sequentielle Transkription langer DNA-Abschnitte, abhängig von der mRNA-Diffusion zu den Ribosomen
Programmierte, sequentielle Transkription bestimmter DNA-Abschnitte
Membran Aktiver Transport spezifischer Moleküle in Organellen, deren Membrandurchlässigkeit daraufhin verändert wird, bis die Moleküle passiv wegdiffundiert sind
Membrangebundene Photorezeptoren modulieren membranabhängigen Energiestoffwechsel, der wiederum die Empfindlichkeit der Photorezeptoren beeinflußt
Rhythmische Wechselwirkung zwischen Ionen-Konzentration, Membranpumpen und Membrandurchlässigkeit
Schwankender Protonengradient, abhängig von der Aktivität von Ionenpumpen in der Membran und pH-abhängigen Enzymen
  • Die Autoren
Redaktion

Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
Christine Scholtyssek (Assistenz)

Fachberater

Prof. Albert Ludolph, Ulm
Prof. Lothar Pickenhain, Leipzig
Prof. Heinrich Reichert, Basel
Prof. Manfred Spitzer, Ulm

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