Lexikon der Biologie: Schwämme
Schwämme, 1) Mykologie: volkstümliche Bezeichnung für größere Fruchtkörper von Ständerpilzen. 2) Zoologie: Porifera, Spongia, Spongiaria, bilden einen einfachen und zugleich spezialisierten Stamm an der Basis der Metazoa (s.u.). Man unterscheidet (hauptsächlich nach der Art des Skeletts) 3 Gruppen (zum Teil als Klassen geführt), die Demospongiae, die Calcarea (Kalkschwämme) und die Hexactinellida (Glasschwämme), wobei die Demospongiae neuerdings mit den Calcarea als Cellularia zusammengefaßt werden, da sie – im Gegensatz zu den syncytial organisierten Hexactinellida – aus Zellen bestehen. Die Schwämme umfassen über 5000 rezente Arten mit einer Größe von wenigen mm bis zu 2 m Durchmesser (Spheciospongia vesparia) oder 3 m Länge (Monoraphis chuni) und auffallend gelber, roter oder violetter, durch Pigmente verursachter, nicht selten auch grellweißer Farbe. Ferner kommt Grünfärbung vor, die meist auf Zoochlorellen oder Zooxanthellen zurückzuführen ist. Als reine Wasserbewohner – die meisten leben marin, nicht wenige in der Tiefsee (Tiefseefauna), nur etwa 120 Arten im Süßwasser – sind Schwämme sessil, allein ihre Larven freibeweglich. Die ohne Symmetrie, jedoch polar organisierte klumpen-, krusten-, trichter- bis schüssel-, aber auch pilz- und geweihförmige, von einem Skelett aus Kollagen-(Spongin-)Fasern, Skleren (Spicula) aus Calcit oder Kieselsäure aufrechterhaltene Körpergestalt ist nur in weiten Grenzen art- und individuenspezifisch festgelegt. Im allgemeinen wird sie von den Ernährungs- und anderen ökologischen Bedingungen am Ort mitbestimmt. Der Süßwasserschwamm Spongilla lacustris (Spongillidae) bildet in strömendem Wasser Krusten, in stehendem geweihartige Verzweigungssysteme. – Schwämme haben keine Organe, weshalb sie als Parazoa (Beinahe-Tiere) den Eumetazoa gegenübergestellt werden. Es ist also weder ein Atmungs- noch ein Exkretionssystem, weder ein Muskel- noch ein Nervensystem vorhanden. Obgleich Kontraktilität und auch Erregungsleitung an vielen Schwämmen zu beobachten sind und bei einigen Arten Neurosekrete bzw. Neurotransmitter (Adrenalin, Noradrenalin, 5-Hydroxytryptamin [Serotonin]) gefunden wurden, sind weder Nerven-, Sinnes- noch echte Muskelzellen nachgewiesen. Dagegen wurden bisher 12 und noch mehr Zelltypen ( ä vgl. Tab. ) unterschieden, die fast alle amöboid beweglich (amöboide Bewegung) sind und im Schwamm mehr oder weniger ständig umherwandern. Da ihre Differenzierung reversibel ist, liegt die Vermutung nahe, es handle sich bei den meisten vielleicht nur um verschiedene funktionelle Zustände einer Zellart. – Hinsichtlich Ernährung, Stoffwechsel, Exkretion, Osmo- und Ionenregulation ist jede Zelle nahzu autark. Diese für Metazoen ungewöhnliche Eigenheit ist in dem ungewöhnlichen, weil auf Hydrodynamik angelegten Bauplan der Schwämme begründet, der einer jeden Zelle den unmittelbaren Zugang zum Wasserstrom ermöglicht. Erzeugt wird der Wasserstrom von einer Vielzahl von Kragengeißelzellen (Choanocyten). Sie sind das Bauelement der Schwämme schlechthin und dienen dem Nahrungserwerb, der Atmung und dem Abtransport von Exkreten und Exkrementen. Als Reusengeißelzelle (Cyrtocyte) strudeln sie durch den Schlag ihrer Geißel O2-reiches Wasser herbei und fangen die in ihm suspendierten winzigen Detritus-Teilchen (Detritus), Mikrophytoplankter (Plankton) und vor allem Bakterien mit ihrem Kragen ab. Der Kragen einer Choanocyte besteht aus etwa 35 palisadenartig angeordneten Mikrovilli, die von einem Mucopolysaccharidfilm als Filter belegt sind. Die Schwämme sind also Suspensionsfresser, die sich phylogenetisch schon sehr früh zu zwar einfachen, aber hochfunktionellen Filtrierspezialisten (Filtrierer) entwickelten und seitdem ihr Wohnwasser optimal auszunutzen vermögen. Möglicherweise liegt hierin die Begründung, daß die Schwämme in der weiteren Metazoenentwicklung ohne Konkurrenten blieben und bis heute als derart einfache Vielzeller überlebten. Immerhin hat man neuerdings (1995) in Unterwasserhöhlen des Mittelmeers, also in äußerst nahrungsarmen Lebensräumen, Schwämme der Gattung Asbestopluma (Familie Cladorhizidae) gefunden, denen Choanocyten und folglich auch ein Wasserfiltrier- und Strömungssystem fehlen. Sie ernähren sich offenbar rein carnivor, indem sie mit Hilfe von Filamenten und Mikroskleren Krebslarven (Nauplii; Nauplius) erbeuten und diese phagocytieren. – Alle Schwämme sind aus 3 Schichten aufgebaut, die anatomisch ein zusammenhängendes Kanal-, funktionell ein einheitliches Strömungs- und Filtersystem bilden. Nach außen begrenzt werden die Schwämme ( ä vgl. Abb. 1 ) von einem ektodermalen Pinakoderm aus polygonalen Pinakocyten, die von blendenartig verschließbaren Ostien, früher als Dermalporen oder schlicht Poren bezeichnet (Name Porifera!), durchbrochen sind. Wesentlicher Bestandteil des Kanalsystems im Innern ist ein entodermales Choanoderm aus Choanocyten. Zwischen Pinakoderm und Choanoderm liegt eine Mesohyl (früher Mesogloea) genannte Zwischenschicht, welche die Hauptmasse des Schwammkörpers ausmacht. Sie besteht aus einer gallertigen Grundsubstanz mit Kollagenfasern und enthält die übrigen Zelltypen. Da den meisten Schwammzellen hohe Freiheitsgrade an Mobilität zukommen und die Existenz echter Epithelien bei den Schwämmen in Frage gestellt ist, sprach man auch von einem Dermallager und Gastrallager. Als Dermallager bezeichnet man Pinakoderm und Mesohyl, als Gastrallager die Gesamtheit der Kragengeißelzellen, das Choanoderm. Da aber Pinakoderm und Choanoderm nach heutiger, zumindest entwicklungsphysiologischer Kenntnis durchaus Epithelien bilden, u.a. Pinakocyten durch Zell-Zell-Verbindungen (allerdings keine Desmosomen), Choanocyten durch basale pseudopodienartige (Pseudopodien) Fortsätze verbunden sind, ist es – zumindest funktionell – gerechtfertigt, von Epidermis und Gastrodermis zu reden, auch wenn es keine Hinweise gibt, daß diese den ebenso benannten Geweben der Eumetazoa homolog sind. – Mit Ausnahme der Hexactinellida (Glasschwämme), bei denen die Choanocyten in fingerhutförmigen oder auch unregelmäßig gestalteten Kammern um einen großen Zentralraum angeordnet sind, folgen die Schwämme einem Bauplan, bei dem aufgrund von Zahl und Anordnung der Choanocyten 3 deutlich voneinander abgegrenzte Typen zu unterscheiden sind. Bei den kleinen, dünnwandigen Formen stellt das Kanalsystem einen Schlauch mit distaler Ausstromöffnung (Osculum) dar. Sein Inneres, der Zentralraum (Spongocoel, Atrium), ist von Choanocyten ausgekleidet: Ascontyp, Beispiel: Leucosolenia botryoides (Familie Leucosoleniidae). Bei den größeren, krug- und flaschenähnlichen Formen, deren Wandstärke aber immer noch unter 1 cm bleibt, sind die Choanocyten stark vermehrt und in becherförmigen Ausbuchtungen des Zentralraums (Radialtuben) angeordnet: Sycontyp, Beispiel: Sycon raphanus. Bei allen großen und umfangreichen Schwämmen bilden die Choanocyten mehr oder minder kugelige Geißelkammern ( ä vgl. Abb. 2 ), die mit zu- und abführenden Kanälen aus Pinakocyten versehen sind und als vor- und hintereinandergeschaltete Pumpen einen dem Volumen des Schwammes angemessenen Wasserstrom erzeugen. – Bau und Funktionsweise der Schwämme wurden im wesentlichen an Spongilliden erarbeitet – Süßwasserschwämmen vom Leucontyp, bei denen zwischen der Epidermis aus Exopinakocyten und dem Mesohyl ein von Endopinakocyten und Porocyten umschlossener Hohlraum als Sammelbecken für das einströmende Wasser, das Vestibulum (früher Subdermalraum), ausgebildet ist. Während die distale Wand des Vestibulums dem Exopinakoderm anliegt, ist die proximale aufgefaltet und bildet so die einführenden Kanäle. In einem solchen Schwamm führt nach Kilian (1985) der Weg des Wassers über die als Grobfilter (durchlässig nur für Teilchen unter 50 μm) wirkenden Ostien des Exopinakoderms ins Vestibulum. Von hier gelangt das Wasser in die einführenden Kanäle und durch Porocyten ins Mesohyl. Durch vorübergehend auftretende Spalten zwischen den Geißelzellen (Prosopylen) fließt es in die Geißelkammern. Die Prosopylen stellen Feinfilter dar und wirken zudem wie eine Wasserstrahlpumpe. Aus den Geißelkammern strömt das Wasser durch je eine größere Öffnung (Apopyle) in die ebenfalls von Endopinakocyten gebildeten ausführenden Kanäle, sammelt sich im Atrium und verläßt über das zweischichtige (eine Exo- und eine Endopinakocytenschicht) Oscularrohr und seine Öffnung (Osculum) den Schwamm. Ob dieses für die Spongilliden geltende Schema zugleich ein Modell aller Schwämme ist, bleibt noch fraglich. – Im allgemeinen sind die Schwämme protandrische Zwitter (Proterandrie). Halichondria moorei (Ordnung Halichondrida), ein Gezeitenbewohner Neuseelands, ist getrenntgeschlechtlich. Ungeschlechtliche Fortpflanzung kommt als Fragmentation, innere und äußere Knospung sowie im Zusammenhang mit dem Überdauern ungünstiger Perioden in Form der Bildung von Gemmulae vor. Die Gametenbildung vollzieht sich nicht lokalisiert. Entwicklungsstadien der Keimzellen finden sich im Mesohyl, aber auch in den Geißelkammern. Ei- und Samenzellen entstehen meist aus totipotenten Zellen (Omnipotenz), den Archaeocyten, bei einigen Arten, z.B. Aplysilla rosea (Familie Aplysillidae), aus Choanocyten. Die Embryonalentwicklung verläuft vivi- oder ovipar. Die Spermatozoen werden mit dem Wasserstrom in den Schwammkörper eingestrudelt und besamen die Eizellen im Mesohyl. In einigen Fällen dienen bei der Besamung Kragengeißelzellen als Transportzellen für Spermatozoen. Bei Sycon raphanus ( ä vgl. Abb. 2/3 ) z.B. dringt das eingestrudelte Spermatozoon aktiv in eine Choanocyte ein und wird von ihr zur Oocyte gebracht. Über einen Befruchtungskanal in der Oocyte dringt das inzwischen zur Spermatocyste gewordene Spermium in die Oocyte ein und macht eine kurze Ruhephase durch. In der Zwischenzeit läuft in der Oocyte die 2. Reifeteilung ab. Dann vollzieht sich die Befruchtung. Während der beiden ersten Furchungsteilungen kommt es zu einer Chromatindiminution. Die Furchung ist total und äqual und führt über eine Stomo- zu einer Amphiblastula. Diese verläßt mit dem Wasserstrom den Schwamm und schwimmt ca. 2–3 Tage umher. Dann beginnt die Gastrulation, bei der die Geißelzellen ins Innere verlagert werden und die Larve sessil wird. Auch bei den Demospongiae ist die Furchung total und äqual, als Larve jedoch bilden sie eine Parenchymula. – Wirtschaftliche Bedeutung: Naturschwämme haben auch heute noch eine große Bedeutung. Ihre Saugfähigkeit kann bisher mit keinem synthetischen Produkt erreicht werden. Bekannt ist der Badeschwamm(Spongia officinalis). Geologische Verbreitung: ?Präkambrium, Kambrium bis Gegenwart mit Höhepunkten der Entwicklung im Malm, in der Ober-Kreide und im Alttertiär. Fossil überliefert sind fast ausnahmslos nur die Formen mit kalkigen oder kieseligen Skeletten. Ihre Elemente findet man häufig als einzige Überreste in den geologischen Schichten, daneben sind aber auch vollständige Formen mit widerstandsfähigen Skeletten in den verschiedensten Gestalten und als Überzüge auf Fremdkörpern erhalten. In bestimmten Zeiträumen waren die Schwämme auch Riffbildner (Riff, Spongiolith). Biostratigraphisch spielen sie nur im Ober-Jura und in der Ober-Kreide eine Rolle. Badeschwämme, Erdgeschichte (Tab.), Spongiologie; ä Schwämme .
D.Z.
Lit.:Ax, P.: Das System der Metazoa I. Stuttgart 1995. Kilian, E.F.: Phylum Porifera. In: R. Siewing (Hrsg.): Lehrbuch der Zoologie, Bd. 2, Systematik. Stuttgart 1985. Soest, R.v.: Porifera, Schwämme. In: Westheide, W., Rieger, R. (Hrsg.): Spezielle Zoologie. Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Stuttgart 1996. Weissenfels, N.: Biologie und mikroskopische Anatomie der Süßwasserschwämme (Spongillidae). Stuttgart 1989.
Schwämme
Abb. 1 Jungschwamm der Spongillidae im Blockdiagramm; Pfeile geben die Wasserströmung an (nach Kilian, 1985). At Atrium, En Endopinakocyten, Ge Geißelzelle, Gk Geißelkammer, Ka ausführender Kanal, Oc Osculum, Os Ostium, Pi Pinakoderm, Pr Prosopyle, Ve Vestibulum, Ze Zentralzelle.
Schwämme
Abb. 2 Geißelkammer von Suberites massa mit Zentralzelle. 3 Entwicklung von Sycon raphanus;a Oocyte, dem Choanoderm anliegend, mit Transportzelle, die eine Spermatocyste enthält; b die Spermatocyste ist ausgestoßen und hat die Reduktionsteilung durchlaufen.
At Atrium, En Endopinakocyten, Ge Geißelzelle, Gk Geißelkammer, Ka ausführender Kanal, Oc Osculum, Os Ostium, Pi Pinakoderm, Pr Prosopyle, Ve Vestibulum, Ze Zentralzelle.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.