Lexikon der Biologie: Telomere
Telomere [von *telo- , griech. meros = Teil, Glied], Bezeichnung für die DNA-Sequenzen (Desoxyribonucleinsäuren, Nucleotidsequenz) an den 3'-Enden linearer eukaryotischer Chromosomen. Telomere zeichnen sich durch multiple, tandemartig angeordnete Oligonucleotid-Sequenzabfolgen (Oligonucleotide) aus. Telomere DNA besteht aus ca. 1000 Tandem-Wiederholungen (Tandem-repeats) einer artspezifischen, G-reichen Sequenz am 3'-Ende jeder DNA-Duplex. Beim Menschen findet sich das Sequenzmotiv TTAGGG über einen Bereich von bis zu 12 kb tausendfach hintereinander. Untersuchungen isolierter Telomere von Maus- und Menschenzellen unter dem Elektronenmikroskop ergaben eine schleifenartige Struktur der Telomere – je nach Länge der Telomere größere oder kleinere Schleifen. Es ist zu vermuten, daß durch Assoziation von G-Nucleotiden aus Wiederholungselementen diese nach außen zeigenden Schleifen entstehen. Mit Hilfe eines Proteins wird der DNA-Doppelstrang am Ende des Chromosoms gedehnt, das freie Ende des Einzelstrangs wird, ebenfalls mit Hilfe eines Proteins, in den Doppelstrang eingefädelt. Es entsteht eine Triplex-Struktur, in der 3 DNA-Fäden zusammenliegen. Möglicherweise schirmen diese Schlaufen in Kombination mit den telomerischen DNA-Bindungsproteinen das Chromosomenende vor den Reparaturmechanismen (DNA-Reparatur) der Zelle für fehlerhafte DNA ab und verhindern eine versehentliche Verschmelzung mit anderen Chromosomenenden. Die sich wiederholenden Sequenzen sind Angriffspunkt für das Enzym Telomerase. Diese verhindert durch Anhängen weiterer Oligonucleotidabfolgen an die Telomere eine Verkürzung der Chromosomen, die nach jedem DNA-Replikationsschritt aufgrund der strikten primer-Abhängigkeit (primer) von DNA-Polymerase zwangsläufig erfolgen würde: Bei der DNA-Replikation werden von einer primer-unabhängigen RNA-Polymerase (DNA-Primase) RNA-primer zur Kettenverlängerung (Elongation) durch DNA-Polymerase zur Verfügung gestellt. Diese RNA-primer werden im Verlauf des Replikationsprozesses durch RNase H (Ribonucleasen) entfernt. Die Chromosomen können somit nur in einem Bereich repliziert werden, der durch die 3'-Enden der „äußersten“ RNA-primer begrenzt wird. Weiter außen liegende DNA-Bereiche gehen verloren. Wenn die Telomere nicht mittels Telomerase repliziert werden würden, würde das Chromosom bei jedem DNA-Replikations-Zyklus um die Länge des RNA-primers kürzer werden. Dadurch würden wesentliche Gene verloren gehen und die Abkömmlinge der betroffenen Zelle sterben. Neuere Studien belegen, daß sich auch auf dem Grenzgebiet der Chromosomenenden, in der Subtelomerregion vor den Telomeren, entgegen früherer Vorstellungen wichtige funktionsfähige Gene befinden. Zwischen der anfänglichen Telomer-Länge in kultivierten Zellen und der Anzahl der Zellteilungen, bis die Zellen altern, besteht eine direkte Korrelation. Patienten, die an Progerie leiden, haben anormal kurze Telomere. Dies und andere Erkenntnisse geben Anlaß zu der Vermutung, daß ein Verlust der Telomerase-Funktion in Somazellen in Zusammenhang mit dem Altern eines multizellulären Organismus steht. Ob man allerdings aus der Telomerlänge auf das biologische Alter eines Organismus schließen kann und ob kurze Telomere die Ursache oder der Ausdruck eines anderen, völlig unabhängigen Alterungsprozesses sind, ist bisher nicht geklärt. Die Ergebnisse von Studien verleiten zu der These, daß Menschen mit verkürzten Chromosomen eher an einem Herzinfarkt oder an Infektionen sterben. Es ist allerdings fraglich, ob die verkürzten Telomere die Krankheit verantworten oder gar auslösen. Jeder Mensch erbt von seinen Eltern jeweils ein Sortiment verschieden langer Telomere, deren Zusammensetzung möglicherweise erbliche Unterschiede in der Lebenserwartung erklären könnte. – Bei Pflanzen werden die Telomere im Laufe der Entwicklung nicht kürzer. Daher können sie Blüten und damit Nachkommen aus fast allen Zellen bilden. Mit intakten Chromosomen in jeder Zelle können Pflanzen ein Alter von mehreren tausend Jahren erreichen. Dolly, künstliche Chromosomen.
R.M./S.Kl.
Lit.:Chadwick, D.J., Cardew, G. (ed.): Telomeres and Telomerase. New York 1998.
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