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Kompaktlexikon der Biologie: Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere

ESSAY

Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Universität Mainz

Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere

In Satellitenaufnahmen der NASA lässt sich am besten die Lichtflut ermessen, in welche die Erdoberfläche täglich des nachts getaucht wird ( vgl. Abb. ). Über den Siedlungsgebieten und Küstenlinien breiten sich Lichtglocken aus, die in dunklen Nächten und bei diffusen Lichtverhältnissen über viele Kilometer wahrgenommen werden. Dieses Phänomen wird heute Lichtverschmutzung genannt. Kein Kontinent bleibt davon verschont, weshalb hierfür der Begriff Global change angemessen ist, da es sich um einen bedeutenden Eingriff in die Ökologie der Biosphäre handelt. Nicht gemeint ist, dass Licht schmutzig ist, sondern dass es im Übermaß verbraucht und zunehmend als Störgröße im Naturhaushalt wirksam wird. Als Maß für die Zunahme der öffentlichen Beleuchtung in Deutschland kann eine Angabe aus Kiel dienen, wonach dort die städtische Straßenbeleuchtung zwischen 1948 und 1998 von 380 auf 20000 Leuchten zugenommen hat (Kollig, 2000). Eine andere Angabe spricht von einer täglichen Zunahme der beleuchteten Fläche in der Bundesrepublik um ca. 1 km2 (Haas et al. 1997). Aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen und aus Naturbeobachtungen kristallisiert sich heraus, dass neben den Insekten noch zahlreiche andere Tiergruppen durch künstliches Licht betroffen sind. Dabei erhebt sich die Frage, ob Licht nicht zur generellen Bedrohung von Lebensgemeinschaften und letztendlich der gesamten Natur signifikant beiträgt.

Licht und Tiere

Licht übt auf Tiere eine starke Wirkung aus, indem es vielfältig in ihre Biologie eingreift. So verfügen Insekten häufig über sensibilisierende Proteine in ihren Augen, wodurch sich ihre Empfindlichkeit für UV-Licht im Wellenlängenbereich zwischen 300 und 400 nm erhöht, doch auch der blau-grüne Bereich zwischen 400 und 450 nm hat vermutlich noch große Bedeutung für ihre Anlockung. Besonders von der Gruppe der Nachtschmetterlinge ist bekannt, dass sie magisch von Lichtquellen angezogen wird, was mancherorts von Biologen für gezielte Nachtfänge mit Hilfe spezieller UV-Lampen ausgenutzt wird. Auch natürliche Lichtquellen wie der Mond beeinflussen häufig die biologische Aktivität von Tieren, wobei Meeres- und Süßwasserbewohner sowie Landtiere gleichermaßen betroffen sind. Bei Vollmond vermindert sich der Hintergrundkontrast bei künstlicher Beleuchtung, weshalb Insekten dann in weit geringerer Zahl von den Lampen angezogen werden als in Nächten mit Neumond (Konkurrenzphänomen). Allerdings wird auch von umgekehrtem Verhalten berichtet, sodass Insekten bei Vollmond verstärkt mit Lichtfallen gefangen wurden. Umfangreiches Datenmaterial zur Wirkung von künstlichem Licht auf Tiere wurde von Schmiedel (1992) zusammengetragen und in den Niederlanden wurde 1997 eine Literaturstudie zum Einfluss der Straßenbeleuchtung und von Licht allg. auf Tiere publiziert.

Eine Auswahl von Veränderungen der Biologie von Tieren durch Licht soll die nachfolgende Aufstellung zeigen:

1) Fehlverhalten bei der Orientierung durch Störungen von Wanderungszügen, durch permanente Punktorientierung („Fesseleffekt“) an Lichtquellen, durch „Leitplankeneffekte“ von Lichterketten, durch Flugkollisionen mit großen beleuchteten Bauwerken,

2) Störung der Fortpflanzung durch fehlgeleitete Kommunikation der Geschlechter,

3) Störung der Nahrungsbiologie durch Fehlverhalten bei der Nahrungssuche,

4) Populationsverluste durch permanente Ausfälle an Individuen unmittelbar an den Leuchten oder in ihrem Umfeld (Staubsaugereffekt),

5) Störungen im Hormonhaushalt,

6) Störungen in der Biorhythmik (im Tagesablauf und saisonal),

7) Negative Energiebilanz.

Beleuchtung als Todesfalle

In der Summe ist zu erwarten, dass all diese Effekte zu einer kontinuierlichen Schwächung von Tiergemeinschaften und Populationen führen, doch besteht noch erheblicher Forschungsbedarf der Quantifizierung und Validierung. Nach einer Projektstudie zur Wirkung von Straßenbeleuchtungen in der Agrarlandschaft von Rheinhessen (Eisenbeis u. Hassel 2000) wurde an den UV-armen Natriumdampf-Hochdrucklampen ein um 55 % geringerer Insektenanflug gegenüber den UV-haltigen Quecksilberdampf-Hochdrucklampen mit weißem Licht gemessen. Für die Nachtschmetterlinge reduzierte sich dieser Rückgang noch einmal deutlich auf 75 %. Berücksichtigt man, dass in warmen Sommernächten Tausende von Insekten im Lichtkegel einer einzigen Lampe herumschwirren, so wird schnell klar, dass durch die Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf Natriumdampflicht eine beträchtliche Reduzierung des Todesfalleneffekts von Beleuchtungsanlagen erreicht wird. Vorsichtige Berechnungen zeigen, dass etwa 33 % der nächtlich anfliegenden Insekten an den Lampen bzw. im Umfeld der Lampen zu Tode kommen oder geschädigt werden ( vgl. Abb. ). Bei einem Leuchtenpool von 20000 Straßenleuchten und einer durchschnittlichen Anflugrate von 450 Insekten pro Leuchte und Nacht errechnet sich für das weiße Licht eine nächtliche Todesrate von drei Mio. Insekten. Für das gelbe Licht der Natriumdampf-Hochdrucklampen ist demgegenüber nur eine Rate von 1,4 Mio. zu erwarten. Für die Bundesrepublik mit einem geschätzten Park von 6,8 Mio. Straßenleuchten (d.h. eine Leuchte auf je zwölf Einwohner), ergibt die Hochrechnung über eine dreimonatige Flugperiode bei Verwendung von weißem Licht die Zahl von 91,8 Mrd. getöteter Insekten. Rechnet man nun noch die Leuchten im privaten Bereich, beleuchtete Reklame- und Schaufensterflächen, Schmuckbeleuchtungen von Sehenswürdigkeiten und Großobjekten und die Beleuchtung von Industrieanlagen hinzu, dann ergibt sich eine weitere gigantische Steigerung für die nächtliche Todesrate von Insekten durch künstliches Licht. Die zugrunde gelegten Zahlen beziehen sich auf Landschaften mit einer vermutlich schon stark ausgedünnten Insektenaktivität. Für naturnahe Gebiete – etwa Reste der alten Kulturmosaiklandschaft, Feuchtgebiete, Heidegebiete, Trockenrasenfluren, Naturwald – sind wesentlich höhere Insektenflugraten zu veranschlagen, so dass die obige Berechnung vermutlich weit untertrieben ist. Allerdings gibt es auch Tiere, die vom Insektenanflug an Lichtquellen profitieren. Es sind dies Spinnen, die ihre Netze im Lichtkegel der Lampen aufhängen, es sind dies Fledermäuse, die im Umkreis der Leuchten jagen, und auch Vögel und epigäische Raubinsekten wie Laufkäfer finden am Boden unter den Leuchten jeden Morgen einen reich gedeckten Tisch an toten und ermatteten Insekten. Kurzfristig haben diese Tiere folglich einen Gewinn, doch gilt dies auch langfristig? Für den von Artenschützern prognostizierten dramatischen Artenrückgang bis zur Mitte des 21. Jh. dürfte auch die Gruppe der Insekten maßgeblich mitbetroffen sein. Insekten nehmen in den Nahrungsketten der Landökosysteme elementare Positionen ein. Verhält sich die Insektendichte allgemein rückläufig, dann führt dies unausweichlich zu Konsequenzen für andere Tiergruppen bis zum Menschen. Auch die Pflanzenwelt ist davon nicht ausgenommen. Ein Großteil der Blütenpflanzen ist auf die Bestäubungshilfe durch Insekten, vor allem durch Schmetterlinge, Bienen und Hummeln, angewiesen. Von den in Tirol nachgewiesenen 2700 Schmetterlingsarten sind rund 85 % nachtaktiv, weshalb die Dezimierung dieser Gruppe durch Licht negative Folgen für die Vegetationsökologie vieler Wildpflanzen befürchten lässt.

Fehlorientierung durch Licht

Spektakuläre Störungen der Biologie von Tieren durch künstliche Beleuchtung werden auch für Tiergruppen berichtet, die normalerweise in ihrem natürlichen Lebensraum nicht davon beeinträchtigt sind. Es handelt sich um die Meeresschildkröten, z.B. die Art Caretta caretta. Diese suchen zur Fortpflanzungszeit flache Sandstrände in Buchten warmer Meere auf, um ihre Gelege oberhalb der Küstenlinie im Sand einzugraben. Für die Rückkehr ins Meer orientieren sich sowohl die Weibchen als auch die später schlüpfenden Jungen an dem von der Meeresoberfläche reflektierten natürlichen Licht. Werden nun künstliche Lichtquellen oberhalb der Küstenlinie im Hinterland installiert, dann werden die Tiere in ihrer Wanderungsrichtung umgepolt, d.h. sie bewegen sich in die falsche Richtung. Dies erhöht beträchtlich ihr Todesrisiko, da ein hoher Anteil der Population ohnehin den zahlreichen natürlichen Feinden zum Opfer fällt. Viele Kommunen in Florida haben deshalb Beleuchtungsverbote an den betroffenen Stränden ausgesprochen. In ähnliche Richtung weisen auch Gesetze oder Gesetzesinitiativen in den USA gegen die allg. Lichtverschmutzung, nach denen die Installation von Beleuchtungseinrichtungen nach strengen Richtlinien zu erfolgen hat. Leuchten im Freien dürfen demzufolge nicht mehr in den freien Himmel abstrahlen, sondern der Strahlkegel muss möglichst eng zum Erdboden hin gerichtet sein.

Auch von Vögeln werden Kollisionen ganzer Schwärme mit erleuchteten Großobjekten wie Hochhäusern, Leuchttürmen, Bohrinseln usw. berichtet, die häufig in einem Massensterben enden (s.a. Schmiedel 1992). Eine moderne Variante dieser Ereignisse wird durch die Skybeamer erzeugt, deren mobile Strahlkegel Störungen des Vogelzuges hervorrufen. So mussten Kranichschwärme in Hessen wegen Erschöpfung im Umfeld von Skybeamern notlanden, wobei zahlreiche Tiere zu Tode kamen. Kollisionen von Vögeln mit gefährlichen Lichtobjekten treten maßgeblich bei Trübwetterlagen (verhangener Himmel, Nebel) auf, wobei es häufig zu Schrecksituationen kommt und den Vögeln nicht mehr die natürlichen optischen Orientierungshilfen wie der Sternenhimmel und der Mond zur Verfügung stehen. So wie Insekten in den Strahlkegel einer einzelnen Leuchte gebannt werden, so werden ziehende Vögel von der Lichtglocke über den Städten eingefangen, aus der sie nur schwer wieder entweichen können. Vielfach soll dies erst beim Nachlassen der Lichtintensität in den frühen Morgenstunden gelingen.

Energetische Aspekte

Lichtverschmutzung bedeutet nicht nur Schäden für die Tierwelt, sondern ist Zeichen einer gigantischen Energieverschwendung. Die Umrüstung veralteter öffentlicher Beleuchtungsanlagen auf das umweltfreundliche Natriumdampflicht und Leuchten mit verbesserter Leuchtenoptik birgt ein hohes Energiesparpotential, wobei auch die Möglichkeit des nächtlichen Teillastbetriebes eingeschlossen ist. Der Energieverbrauch moderner Leuchten lässt sich stufenweise bis fast 60 % reduzieren, und die Anschlussleistung je Straßenkilometer Leuchtstrecke kann maximal auf 30 % im Vergleich zum Betrieb mit Quecksilberdampf-Hochdrucklampen gesenkt werden (Quelle: AEG-Lichttechnik). Die Spannweite der täglichen Energieersparnis liegt für mit Natriumdampf-Hochdrucklampen ausgerüstete Leuchten zwischen 0,5 und 1,8 kWh. Das entsprechende CO2-Äquivalent wird von der Industrie derzeit mit 0,55 bzw. 0,6 kg CO2 für 1 kWh angesetzt. Bei dem für die Bundesrepublik geschätzten Straßenleuchtenpool von 6,8 Mio. Einheiten ließen sich somit täglich rund vier Mio. kg CO2 einsparen. Das Thema Lichtverschmutzung sollte zu einem Toppthema für die Agenda 21 werden, da sowohl der Schutz und die Erhaltung der Tierwelt, der Schutz des Klimas wie auch die Schonung der Energieressourcen davon betroffen sind. Grundsätzlich trägt jeder Einzelne zur Lichtverschmutzung bei, weshalb der sparsame Umgang mit Licht auch das häusliche Umfeld betrifft. Vor allem aber sind die Entscheidungsträger in den Kommunen und alle in der Planung Tätigen aufgerufen, für die öffentliche Beleuchtung die Grundsätze der Sparsamkeit, das Vorsorgeprinzip und die nach dem Stand der Technik bestmögliche Umweltverträglichkeit anzuwenden. Lichtverschmutzung ist daher ein Politikum.

Literatur: Eisenbeis u. Hassel: Natur und Landschaft, 75. Jhg. H 4, 2000. – Haas, R. et al. Z. Umweltchem. Ökotox. 9:24, 1997. – Kolligs, D.: Faun.-Ökol. Mitt. Suppl. 28 u. Dissertation, Universität Kiel, 2000. – Schmiedel, J.: Diplomarbeit Universität Hannover, 1992. – Steck, B. LiTG-Publikationen, 15, 1997.



Essay Lichtverschmutzung: Europa bei Nacht aus der Satellitenperspektive, rechts daneben Skybeamer



Essay Lichtverschmutzung: Defekte Kastenleuchte als Todesfalle für Insekten; das rechte Foto zeigt eine mweltfreundliche moderne Tellerleuchte mit Optik

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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