Lexikon der Chemie: phosphororganische Verbindungen
phosphororganische Verbindungen, Organophosphorverbindungen, im engeren Sinne Verbindungen, die über eine oder mehrere P-C-Bindungen verfügen (elementorganische Verbindungen). Im weiteren Sinne werden bes. in der Technik auch die Ester der Phosphorsäure und der phosphorigen Säure als p. V. bezeichnet. Infolge der außerordentlichen Variabilität des Phosphors bezüglich seiner Oxidations- und Koordinationszahlen kennt man p. V. sehr unterschiedlicher Struktur. Wichtige Verbindungsklassen sind Phosphine, tert. Phosphinoxide R3PO, Phosphoniumsalze R4P+X-, Phosphor-Ylide R3P+-C- R2 ≈ R3P=CR2 (Ylide), phosphosphonige Säuren RP(O)HOH und Phosphonsäuren RP(O)(OH)2, phosphinige Säuren (sek. Phosphinoxide) R2P(O)H und Phosphinsäuren R2P(O)OH. Von den organischen Säuren des Phosphors sind zahlreiche Derivate, wie Ester, Halogenide, Amide, deren Thioanaloga u. a., bekannt. Von speziellerem Interesse sind Phosphorane R5P, monomere und polymere Phosphazene R3P=NR bzw. [-R2P=N-]n, z. B. Dichlorphosphazene (Phosphornitriddichloride), sowie zahlreiche Phosphor enthaltende heterocyclische Verbindungen. In jüngster Zeit gelang die Synthese von Phosphaalkenen RP=CR2 und Phosphaalkinen RC≡P, die entgegen den Forderungen der Doppelbindungsregel den Phosphor als Bestandteil von pπ-Doppel- bzw. Dreifachbindungssystemen enthalten.
Zur Knüpfung der P-C-Bindung bedient man sich der Addition PH-funktioneller Phosphine oder Phosphite an C=C-, C=O- und C=N-Doppelbindungen, z. B. Ph2PH + CH2=CHCN → Ph2P-CH2CH2CN, (MeO)2P(O)H + Cl3C-CHO → Cl3C-CH(OH)-P(O)- (OMe)2; der nucleophilen Substitution organisch gebundenen Halogens durch Phosphor(III)-Verbin-
dungen, z. B. Ph3P + Me-I → Ph3P+-Me I-, (EtO)3P +
Ph-CH2Br → Ph-CH2-P(O)(OEt)2 + Et-Br (Michaelis-Arbusow-Reaktion); der Umsetzung von Phosphortrichlorid mit Aromaten unter Bedingungen der Friedel-Crafts-Reaktion, z. B.
der Einwirkung von Grignard-Reagenzien, Lithium- oder Aluminiumorganylen auf Phosphorhalogenide und weiterer Methoden.
P. V. zeigen gegenüber ihren Stickstoffanaloga einige bemerkenswerte Struktur- und Verhaltensunterschiede. Die Bindungswinkel in Phosphinen sind generell kleiner als in Aminen. Die Inversionsbarriere bei trivalenten P-Verbindungen liegt bei etwa 140 kJ/mol, woraus folgt, daß unsymmetrische tert. Phosphine in optisch aktive Enantiomere gespalten werden können. Phosphine bilden mit zahlreichen Übergangsmetall-Ionen stabile Komplexe. Sie sind stärkere Nucleophile, aber schwächere Basen als Amine.
Von wesentlichem Einfluß auf das Verhalten der p. V. ist einerseits das Unvermögen dreifach koordinierten Phosphors, sich an π-Konjugationssystemen zu beteiligen, andererseits aber die Neigung tetrakoordinierten Phosphors, stabile dπpπ-Beziehungen einzugehen. Dies bestimmt die Stereochemie und Reaktivität vieler P-Heterocyclen, bewirkt die hohe Stabilität der P-Ylide und Phosphazene und macht den Umstand, daß die Ausbildung einer Phosphorylfunktion -/ PO zur Triebkraft vieler Reaktionen der p. V. wird, verständlich. Pentakoordinierte Zustände des Phosphors sind relativ stabil und unterliegen oft raschen Isomerisierungen (Berry-Pseudorotation).
P. V. haben durch vielseitige Anwendungen hohe wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Phosphor- und Thiophosphorsäureester werden als Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel (phosphororganische Insektizide) eingesetzt. 2-Chlorethanphosphonsäure Cl-CH2CH2P(O)(OH)2 hat sich als Reifebeschleuniger und Halmstabilisator bewährt. Andere Phosphonsäurederivate dienen als Flammenschutzmittel für Textilien und PUR-Schäume, tert. Phosphinoxide, wie Bu3PO und Oct3PO, als Extraktionsmittel für verschiedene Metalle. Weitere p. V. werden als Schmieröladditive, Flotationsmittel, Weichmacher und Stabilisatoren angewandt. P. V. haben ferner Bedeutung als chemische Kampfstoffe.
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