Lexikon der Neurowissenschaft: Entfernungssehen
Entfernungssehen, Tiefensehen, Tiefenwahrnehmung, E depth perception, Wahrnehmung und Beurteilung der Entfernung gesehener Objekte. Das prinzipielle Problem der Umsetzung der zweidimensionalen Bilder auf der Netzhaut in dreidimensionale Wahrnehmung wird auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Weisen gelöst. Im Fernbereich können nur monokuläre, im Nahbereich zusätzlich auch binokuläre Mechanismen genutzt werden. Die fünf Mechanismen des monokularen Entfernungssehens sind Verdeckung, perspektivische Verkleinerung, Verteilung von Licht und Schatten, scheinbare Objektgröße und Bewegungsparallaxe (die unterschiedliche Verschiebung naher und weiter Gegenstände bei Eigenbewegung). Die Interpretation von Perspektive, scheinbarer Objektgröße sowie Licht und Schatten ist erfahrungsabhängig und kann leicht zu Täuschungen führen. Verdeckung und Bewegungsparallaxe sind demgegenüber verläßlichere monokuläre Hinweise. Die genauere binokulare Tiefenwahrnehmung ist auf den Nahbereich beschränkt und beruht auf der Verrechnung der horizontalen Bildunterschiede aus beiden Augen (Querdisparation). Durch den seitlichen Abstand beider Augen (ca. 60 mm) weisen die Bilder beider Augen für Gegenstände im Nahbereich horizontale Abweichungen auf (binokulares Sehen). Abhängig von der Lage der Objekte vor oder hinter der Fixationsebene sind diese Abweichungen in beiden Augen temporalwärts oder nasalwärts gerichtet und bieten den Zellen im corticalen Areal V1 und den folgenden, binokular innervierten Sehzentren eine eindeutige Grundlage zur Bestimmung der Lage von Objekten im Raum relativ zu einem fixierten Gegenstand. Ein objektives Maß für die Entfernung der Fixationsebene ist die Konvergenz der Augen, die umso größer ist, je näher fixiert wird. Als physiologisches Maß für den Konvergenzwinkel kann die zentrale Innervation oder die Muskelspannung der Konvergenzmuskulatur am Augapfel verwendet werden. Die Schwelle für die zum Entfernungssehen auswertbare Querdisparation wird bei einem Sehwinkel von 20 Winkelsekunden erreicht. Durch den zentralen Mechanismus der Fusion werden im Bereich der Fovea centralis vergleichsweise große Querdisparationen von 12-16 Winkelminuten zu einem Sinneseindruck verschmolzen. Foveale Netzhautbilder, die weiter als 16 Winkelminuten voneinander abweichen, werden doppelt gesehen.
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