Direkt zum Inhalt

Kompaktlexikon der Biologie: Darm

Darm, Darmkanal, Darmtrakt, Intestinum, Enteron, sack- oder röhrenförmiges, mehr oder weniger differenziertes Verdauungsorgan aller Metazoa, das bei manchen Gruppen, vor allem Parasiten, sekundär reduziert ist. Die Anlage des Darmrohres ist einer der frühesten Schritte in der Embryonalentwicklung.

Die einfachsten Darmformen mit nur einer Körperöffnung finden sich bei den Sackdärmen der Hohltiere (Coelenterata), wobei der D. der Nesseltiere (Cnidaria), der Scyphozoa und der Blumentiere (Anthozoa) bereits eine Oberflächenvergrößerung durch Bildung so genannter Gastraltaschen zeigt. Zunehmende Verästelung und somit eine große Austauschoberfläche zeigen die Sackdärme der Plattwürmer (Plathelminthes); sie haben nicht nur die Aufgabe der Verdauung, sondern sind zugleich ein sich durch den gesamten Körper ziehendes Verteilungssystem, das als Gastrovaskularsystem bezeichnet wird. Es spricht viel dafür, dass zweimal unabhängig ein After entstand: innerhalb der Spiralia nach Abzweig zu den Plathelminthes und bei der Stammart der Radialia. Damit entstand ein Einwegdarm, in dem einzelne Abschnitte getrennte Funktionen übernehmen können: Nahrungsaufnahme und -zerkleinerung im Vorderdarm (Stomodaeum), Verdauung und Resorption im Mitteldarm (Mesodaeum, Mesenteron), Ausscheidung über den Enddarm (Proctodaeum, Colon). Von dieser großen Einteilung lassen sich viele Spezialisierungen ableiten. An das Darmrohr sind Hilfsorgane der Verdauung (Speicheldrüsen, Mitteldarmdrüse, Magenblindsäcke, Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse) angeschlossen. Oft stehen D. und Atmungsorgane in enger Beziehung zueinander, so kann der Vorderdarm zum Kiemendarm umgewandelt sein (Chordata) oder er bildet in der Ontogenese Luft atmender Wirbeltiere als sackförmige Ausstülpungen die Lungen. Darüber hinaus kann der Enddarm als Atmungsorgan fungieren (Darmatmung).

Der Transport des Nahrungsbreis wird entweder durch Cilientransport oder durch Darmperistaltik gewährleistet, wobei reine Darmperistaltik charakteristisch für Gliedertiere (Articulata) und Wirbeltiere (Vertebrata) ist ( vgl. Abb. ). Bei den Wirbeltieren ist die Darmperistaltik über Parasympathikus (Verstärkung von Peristaltik und Sekretion) und Sympathikus (Hemmung der Peristaltik, Herabsetzung der Darmdurchblutung) reguliert, wobei diese lediglich modulierend auf das Darmnervensystem wirken. – Daneben sorgt eine Vielzahl von Hormonen und Neuropeptiden für die Koordination von Motilität, Sekretion, Resorption, Durchblutung und Mucosawachstum und macht den D. zu einem der hormonreichsten Organsysteme. Dabei wird die Produktion der gastrointestinalen Hormone durch direkten Kontakt von Nahrungsbestandteilen mit Rezeptoren der entsprechenden Sekret produzierenden Zellen reguliert. – Zwischen der Ernährungsweise und dem Bau des D. gibt es zahlreiche funktionelle Zusammenhänge. So ist die Länge des D. häufig an die Art der Nahrung angepasst und kann daher auch bei nahe verwandten Arten sehr unterschiedlich sein. Im Verhältnis zur Körperlänge lange Därme haben Pflanzenfresser mit sehr schlackenreicher Nahrung, reine Fleischfresser (Carnivora) besitzen dagegen verhältnismäßig kurze Därme. Ein weiteres Beispiel sind die Gärkammern vieler Pflanzenfresser, die innerhalb der Säugetiere entweder spezielle Differenzierungen des Ösophagus (Speiseröhre) sind, die mit dem eigentlichen Magen einen digastrischen Magen bilden (z.B. Wiederkäuer, Ruminantia); oder sie sind als mächtige Blinddärme ausgebildet (z.B. Nagetiere, Rodentia). In all diesen Gärkammern sind symbiontische Bakterien und/oder Ciliata angesiedelt.

Als D. i.e.S. wird bei den Wirbeltieren nur der auf den Magen folgende Abschnitt bezeichnet. Er beginnt bei den Säugern mit dem Dünndarm (Intestinum tenue), bestehend aus den drei Abschnitten Zwölffingerdarm (Duodenum), Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum). Auffälligstes anatomisches Merkmal des Dünndarms ist seine ernorme Oberflächenvergrößerung, ( vgl. Abb. ) die sich sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch verfolgen lässt. Das Dünndarmepithel selbst ist einschichtig und in Darmzotten (Villi intestinales) angeordnet, fingerartig nebeneinander stehenden Auffältelungen der Epithelzellen, die die resorbierende Oberfläche um das 8-10fache vergrößern. Da jede Epithelzelle ihrerseits einen Mikrovillisaum besitzt, kommt es zu einer weiteren Oberflächenvergrößerung um den Faktor 20. Die Darmzotten können sich kontrahieren und kommen somit mit verschiedenen Teilen des Darminhalts in Berührung. Die tiefer gelegenen, von Epithel bedeckten Räume zwischen den Zotten werden als Lieberkühn'sche Krypten bezeichnet. In jeden Villus ragt ein Geflecht aus Blutkapillaren und Lymphgefäßen hinein und markiert den Ort der Resorption der verdauten Nahrung. In die Mikrovilli der Epithelzellen sind Actinfilamente eingebettet und an der Basis Myosinfilamente, die eine rhythmische Bewegung des Bürstensaums ermöglichen. Der gesamte Mikrovillisaum ist von einer aus Mucopolysacchariden und Glykoproteinen betehenden, so genannten Glykokalix bedeckt. In dem Netzwerk dieser Schicht werden Verdauungsenzyme und die verschiedenen Moleküle des Nahrungssubstrats zusammen mit Wasser und Schleim festgehalten und befinden sich damit unmittelbar am Ort der Resorption. Eingebettet zwischen die resorbierenden Darmepithelzellen liegen Schleim produzierende, so genannte Brunner-Drüsen.

Vom Dünndarm über die den Rückstrom des Nahrungsbreis verhindernde Bauhin-Klappe (Ileoceocalklappe) getrennt ist der ihm folgende Dickdarm (Intestinum crassum) mit den Abschnitten Blinddarm (Caecum), Enddarm (Colon) und Mastdarm (Rectum). Der Blinddarm läuft beim Menschen und den Menschenaffen in einen dünnen Blinddarmfortsatz oder Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) aus. Bei vielen Pflanzen fressenden Säugetieren mit einfachem Magen und bei Vögeln findet sich ein stark vergrößerter, zum Teil paariger Blinddarm mit einer reichen Flora symbiontischer Cellulose-Zersetzer. Viele Hasenartige und Nager steigern die Wirksamkeit der Celluloseverdauung im Blinddarm durch Koprophagie des Blinddarmkots und profitieren dadurch vom Stickstoff- und Vitamingehalt der Mikroflora. Der Dickdarm wird im Unterschied zum Dünndarm von einer reichen Bakterienflora (Darmflora) besiedelt. Das Epithel des D. bildet keine Zotten aus, aber dicht nebeneinander stehende Krypten. Nur die an der Oberfläche stehenden Zellen zeigen das Bild einer transportierenden Epithelzelle mit dem typischen Mikrovillisaum. In diesem hinteren Darmabschnitt spielen durch die Darmflora vermittelte Kohlenhydratgärungs- und Eiweißfäulnisprozesse eine wichtige Rolle. Anatomisch fallen in diesem Abschnitt die Taenien (oberflächlich gelegende Bündel der Längsmuskulatur) und Haustren (hervorquellende Abschnitte, die durch örtliche Kontraktion der Ringmuskeln entstehen) besonders auf. Sie sorgen für eine kräftige Durchknetung des Nahrungsbreies, der dabei durch Wasserentzug eingedickt wird. Zusätzlich werden in wesentlichem Umfang Mineralstoffe und wasserlösliche Vitamine resorbiert. Im letzten Darmabschnitt, dem Mastdarm (Rectum) verschwindet die Zonierung der Längsmuskulatur wieder. Aus der Ringmuskulatur wird ein innerer Schließmuskel (Analsphinkter) gebildet. Diesem überlagert und im Gegensatz zum inneren dem Willen unterworfen ist der äußere Analschließmuskel. Auch der Dickdarm ist in die Darmperistaltik mit einbezogen. Der normalen Peristaltik überlagert sind gelegentliche, vom Blinddarmbereich ausgehende, besonders kräftige peristaltische Wellen, die den weitgehend verdauten Nahrungsbrei schubartig in den Mastdarm transportieren. Man beobachtet diese großen peristaltischen Wellen besonders nach der Nahrungsaufnahme. (Verdauung)



Darm: Bewegungsformen im Magen-Darm-Kanal und ihre Funktion



Darm: Oberflächenvergrößerung des Dünndarms durch vielfache „Auffältelung“. Betrachtet man ein Stück des Dünndarms von 4 cm Durchmesser und 280 cm Länge (a) als Zylinder (Oberfläche ca. 0,35 m2

1), so ergeben sich durch die Auffaltung in Kerckring-Falten (b), Zotten (c) und Mikrovilli (d) die angegebenen Oberflächenvergrößerungen

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.