Lexikon der Biologie: Sexualverhalten
Sexualverhalten [von *sexual- ], Paarungsverhalten, Begattungsverhalten, ein Teil des Fortpflanzungsverhaltens (Brutpflege, Fortpflanzung, Sexualität, sexuelle Fortpflanzung) bei Tieren und Mensch. Bei Höheren Organismen wird es auch zur sexuellen Befriedigung ausgeführt (sexuelle Lust, Onanie), beim Menschen ist es Ausdrucksmittel für Liebe und Bindung (Paarbindung). Sexualverhalten besteht aus Appetenzverhalten (z.B. Partnersuche, Flirtverhalten, Werbeverhalten, Imponierverhalten), Partnerwahl (Attraktivität, attraktives Verhalten), sozial freundliche (grooming, soziale Körperpflege) und liebevolle Zuwendung und Endhandlung (z.B. Begattung; Befruchtung, Ejakulation, Kopulation, Orgasmus). Es wird normalerweise zwischen geschlechtsreifen Individuen derselben Spezies ausgeführt bzw., wenn sich ein fruchtbares Weibchen und Männchen, zum Teil auch mehrere Individuen beider Geschlechter, gefunden haben. Hinsichtlich Geschlechtsreife, Oestrus und „Triebstärke“ spielen Geschlechtshormone (Sexualhormone) eine Rolle. Bei vielen Arten sind Hormonspiegel und Verhalten an bestimmte ökologische Bedingungen (z.B. Jahreszeit, Tageszeit [Biorhythmik, Chronobiologie], Ebbe/Flut [Gezeiten, Lunarperiodizität], geeignetes Revier oder/und Nest, fruchtbare Tage [Menstruation]) oder/und soziale Bedingungen geknüpft (z.B. „Besitz“ eines Harems; bei einzelnen Arten züchtet nur das stärkste Paar, z.B. Wolf). Paarungsbereite Partner finden sich mit Hilfe von Lokomotion (Bewegung, Fortbewegung), chemischen (z.B. Copuline, Pheromone, Sexuallockstoffe), akustischen (Bioakustik, Gesang, Lautäußerung) und optischen Signalen (Balz, Kommunikation). Stehen mehrere Partner zur Auswahl, so wird meistens derjenige mit der größten individuellen Fitneß bevorzugt (Adaptationswert; Extremorgan, sexuelle Selektion [Selektion], Dominanzsexualität). Bei einzelnen Arten geht dem Sexualverhalten die Paarbildung voraus (z.B. Graugans). Die Wahrscheinlichkeit, sexuelle Aktionen zu initiieren, auch wenn der Partner nicht motiviert ist, ist bei Männchen vieler Tierarten dann höher als bei Weibchen, wenn Männchen pro Nachkommen weniger „investieren“ als Weibchen (Sprödigkeit). Bei der Begattung werden (bei der äußeren Besamung) die Keimzellen ins Wasser abgegeben oder (bei der inneren Besamung) mit Hilfe von Kopulationsorganen (z.B. Penis; Geschlechtsorgane) die Spermien im Körper des Weibchens abgegeben. Nach der Begattung versuchen Männchen vieler Arten, weitere Kopulationen durch fremde Männchen zu vermeiden (Partnerbewachung, Penis captivus, Spermienkonkurrenz, erzwungene Kopulation). ä Sexualvorgänge . –
Menschliches Sexualverhalten ist eng verbunden mit Flirt, Werben (Werbeverhalten) und Liebe (attraktives Verhalten, Brutpflege, grooming, Körperkontakt), kann aber auch rein auf Lust und auf den Orgasmus bezogen erfolgen (Hypersexualisierung, Onanie). Dem Sexualverhalten i.e.S. (Beischlaf, Coitus) geht häufig Flirtverhalten, „romantisches“ Verlieben und ein erregendes „Vorspiel“ voraus. Sie sind auf der subjektiven Ebene durch soziale Sympathie und sexuelle Lust gesteuert. Auch bei der menschlichen Fortpflanzung ist der minimal mögliche Aufwand bei der Fortpflanzung für Väter (ein Ejakulat) um Größenordnungen kleiner als für Mütter (Schwangerschaft und Stillen). Je nach Geschlecht können deshalb beim Fortpflanzungsverhalten unterschiedliche Merkmalsausprägungen einen Selektionsvorteil haben (Mannschema, Matriarchat, Partnerschema, Patriarchat, Sexualdimorphismus). Männer, die z.B. durch visuelle weibliche Reize (Attraktivität, facial attractiveness, Hüftbetonung) rasch stimulierbar sind und die eine Vorliebe für sexuelle Abwechslung selbst neben einer bestehenden Bindung entwickelt haben (doppelte Sexualmoral), nehmen Chancen zur Fortpflanzung eher wahr (Philanderie, Promiskuität, Prostitution). Damit haben sie einen Selektionsvorteil (Selektion). Im Gegensatz dazu kontrollieren vom ersten Kennenlernen an insbesondere Frauen die Entwicklung der Bekanntschaft durch vielfältiges, z.B. anziehendes und zurückweisendes Verhalten (Partnerwahl, Weibchenwahl). Weil sich bei Vätern größere Unterschiede bei der Beteiligung am Großziehen der Kinder finden als bei Müttern, kommt der Partnerauswahl durch die Frau eine besondere Bedeutung zu. Vielen Frauen sind soziale Fähigkeiten, soziale Sicherheit, Vermittlung von Schutz, Vertrauenswürdigkeit, Ressourcen und Status bei ihren Partnern wichtig. Weibliche Sexualität ist beim Menschen mit viel mehr einschränkenden Bedingungen verbunden als männliche. Trotz aller Geschlechtsunterschiede haben beim Sexualverhalten beide Geschlechter qualitativ das gleiche Verhaltensrepertoire. Verhaltensunterschiede ergeben sich durch unterschiedliche Häufigkeit und unterschiedliche Intensität einzelner Verhaltensweisen und Bereitschaften. – Das menschliche Verhalten weist im Artenvergleich mehrere Besonderheiten auf: Sexuell erregte und sich paarende Individuen verstecken sich vor Artgenossen (von seltenen kulturellen Ritualen abgesehen). Findet sich kein Versteck, so wird das Verhalten normalerweise durch sexuelle Scham gehemmt (Impotenz). Das Sexualverhalten hat beim Menschen auch paarbindende Funktionen (Familienverband) und kann bei Paaren nach einem Streit zur Versöhnung eingesetzt werden. Im Gegensatz zum Tierreich wird das Verhalten auch während der Schwangerschaft sowie im Alter (Altern) bzw. auch nach Beendigung des zeugungsfähigen Alters der Frau ausgeführt (Menopause). Sowohl Vorspiel als auch die Befriedigung sexueller Antriebe sind beim Menschen variabler als im Tierreich (Bonobo). Die Entscheidung zur Paarbindung (Monogamie, Polygamie, Harem) braucht bei einem psychosozial und kulturell so komplexen Wesen, wie es der Mensch ist, manchmal viel Zeit. Das menschliche Sexualverhalten ist wegen ausgeprägter Geschlechtsunterschiede und anderer Aspekte wie Verlieben (z.B. in „unpassende“ Partner), Triebhaftigkeit (Orgasmus), Eifersucht, Liebeskummer, wegen des Risikos unerwünschter Kinder und sexuell übertragbarer Krankheiten (Geschlechtskrankheiten) konfliktanfällig und wird deshalb zweckmäßiger- und notwendigerweise von Moral und Verantwortung überbaut (Ethik, Geschlechterkonflikt, Heterosexualität, Homosexualität, Normen, Perversion, Transsexualität). Beim Menschen können alle sexuellen Neigungen mehr oder minder gut durch Lernen, Einsicht, Moral und Wollen kontrolliert und gesteuert, Geschlechtsunterschiede können abgeschwächt oder verstärkt werden (internalisieren). In Bezug auf psychosexuelle Geschlechtsunterschiede findet man auch häufig kulturelle Unterschiede z.B. in Abhängigkeit vom Wohnort (Stadt oder Land), der sozialen Schicht und hinsichtlich historischer Entwicklungen. Die vergleichsweise leicht auslösbare männliche Sexualität hat weitreichende Konsequenzen. Pornographie z.B. wird fast nur von Männern gekauft, und Prostituierte werden weit mehr von Männern beansprucht als Callboys von Frauen. Zur visuellen Stimulierbarkeit gibt es bezüglich der Abstraktionsleistung der Wahrnehmung Hinweise auf die Beteiligung von angeborenen Auslösemechanismen (AAM [angeborener auslösender Mechanismus], EAAM), da mit der Pubertät z.B. Pornographie (etwa mit genitalen Großaufnahmen) für Jungen sexuell erregend wirkt, auch wenn sie selbst noch keine eigenen Erfahrungen mit Mädchen gemacht haben. Wegen „triebhaften“ und mitunter „varianten“ Sexualverhaltens werden eher Männer straffällig als Frauen. Bei „Naturvölkern“ (traditionalen Kulturen) kommen Masturbation, Seitensprünge und Vergewaltigung vor, kaum jemals Homosexualität; variantes Sexualverhalten wie z.B. Exhibitionismus, Fetischismus, „Lustmord“, Pädophilie, Sadomasochismus und Transvestitismus gibt es bei ihnen nicht. Anlage-Umwelt-Diskussion, Inzesttabu, Mißhandlung, sexueller Mißbrauch, sexuelle Störungen, Sprödigkeit, Tabu, Vergewaltigung.
G.M.
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