Lexikon der Neurowissenschaft: Formatio reticularis
Formatio reticularisw [von latein. formatio = Gestaltung, Bildung, reticulum = kleines Netz], reticuläres System, Reticulärformation, Substantia reticularis, E reticular formation, locker verteilte Gruppen von Nervenzellen mit zahlreichen Faserbündeln, was in einer netzartigen (reticulären) Struktur resultiert. Solche Strukturen finden sich im Hirnstamm und im Rückenmark. 1) Die sehr heterogene Formatio reticularis des Hirnstamms nimmt den mittleren Teil des Tegmentums ein und erstreckt sich vom Myelencephalon bis ins Mesencephalon. Sie erhält Informationen aus allen sensiblen und aus motorischen Kerngebieten. In ihr liegen das Atemzentrum und das Kreislaufzentrum. Außerdem ist sie an der Kontrolle von Wach- und Schlafzustand beteiligt und wirkt bei der Regulation der Aufmerksamkeit (arousal) mit. Bewußtsein. 2) Die Formatio reticularis medullae spinalis liegt am Übergang von Hinterhorn und Seitenhorn bzw. Vorderhorn des Rückenmarks. Hier ist die Grenze zwischen grauer und weißer Substanz aufgelockert.
Einige Autoren betrachten den Nucleus interlaminaris thalami und die Forel-Felder als Fortsetzung der Formatio reticularis in das Diencephalon. Eine treffende Definition der Formatio reticularis gelingt am besten negativ: sie umfaßt alle Neuronen und Faserzüge des Hirnstamms im Myelencephalon, Rhombencephalon und Mesencephalon, die nicht eindeutig sensorischen oder motorischen Funktionen dienen (daher auch die Bezeichnung "Restneuronen". Die phylogenetisch betrachtet alte Formatio reticularis nimmt bei niederen Wirbeltieren den größten Teil des Hirnvolumens für sich in Anspruch. Ihr relativer Anteil am Volumen nahm im Verlauf der Evolution ab, da andere Teile des Gehirns, vor allem der Isocortex, noch schneller wuchsen. Die Nervenzellen der Formatio reticularis haben charakteristische morphologische Merkmale. Ihre Dendriten zeigen ein besonders undifferenziertes Verzweigungsmuster, und während sensorische und motorische Neurone in der Regel nur entweder ein in der Neuraxis auf- oder absteigendes Axon haben, weisen reticuläre Neurone Axone auf, die sich verzweigen und dann in beide Richtungen projizieren. – Die Formatio reticularis kann man in 3 parallele, längs verlaufende Säulen gliedern: die paramediane Säule mit einigen kompakteren Zellgruppen, die großzellige mediale Säule und die kleinzellige laterale Säule. Diese Gliederung spiegelt möglicherweise 3 Stufen der Evolution des Hirnstamms wider. Die reticulären Neurone liegen also zum großen Teil verstreut zwischen Faserbündeln, teilweise gruppieren sie sich in unscharf begrenzten Regionen (Kernen), teilweise finden sie sich jedoch auch in anatomisch deutlich abgrenzbaren Kernen wie den serotonergen Raphekernen und dem noradrenergen Locus coeruleus zusammen. Die reticulären Kerne werden in ihrer Gesamtheit auch als Haubenkerne bezeichnet.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.