Lexikon der Neurowissenschaft: Stimmungsübertragung
Stimmungsübertragung w, ansteckendes Verhalten, all(el)omimetisches Verhalten, Mach-mit-Verhalten, Handlungsangleichung, E mutual excitation, Übertragung einer Motivation oder einer Bereitschaft von einem Sozialpartner auf den anderen, die dazu führt, daß die Mitglieder einer Tiergruppe oder eines Schwarms sich gegenseitig "anstecken" und zur selben Zeit dasselbe tun. Durch Stimmungsübertragung wird das Verhalten im sozialen Verband synchronisiert – mit mindestens zwei Nutzeffekten: Zum einen kommen wichtige Informationen über die Umwelt, die ein Tier gewinnt, den anderen zugute: eine synchronisierte Flucht (ein Vogelschwarm fliegt gemeinsam auf) rettet auch die Tiere, die den Raubfeind nicht selbst gesehen haben; die Futtersuche an bestimmten Stellen (z.B. durch Umdrehen von Steinen bei Bären) informiert Tiere über eine zur Zeit ertragreiche Futterquelle, auch wenn sie nicht hungrig genug wären, um ohne die Stimmungsübertragung zu suchen. In einem solchen Fall kann die Stimmungsübertragung einen Lernprozeß anregen, der die Verhaltensmöglichkeiten aller Tiere erweitert (Lernen). Zum zweiten werden durch Stimmungsübertragung die Bedürfnisse der Tiere synchronisiert, so daß der Zusammenhalt des Verbandes nicht durch widerstreitende Motivationen gefährdet wird: die Tiere sind in etwa zur selben Zeit hungrig, durstig, müde usw. und neigen von daher zu gemeinsamem Verhalten. Man benutzt daher auch die Begriffe soziale Anregung, soziale Stimulation, soziale Verstärkung oder soziale Erleichterung (E social facilitation). Der Begriff der Stimmungsübertragung wurde von K. Lorenz bereits in seinem Frühwerk in allen Grundzügen erfaßt ( siehe Zusatzinfo ).
Stimmungsübertragung
K. Lorenz schreibt in "Der Kumpan in der Umwelt des Vogels" zur Stimmungsübertragung: "Es wird hier bezeichnenderweise eine Triebhandlung des einen Tieres durch die gleiche Triebhandlung des Kumpans ausgelöst. Bei Beobachtung dieses Verhaltens müssen wir eingedenk bleiben, daß dies keine Nachahmung ist. Zur Nachahmung einer zweckmäßigen Verhaltensweise ist kein Vogel befähigt... Diese Art von scheinbarer Nachahmung beruht auf der bei Vögeln sehr weit verbreiteten Erscheinung, daß der Anblick des Artgenossen in bestimmten Stimmungen, die sich durch Ausdrucksbewegungen und -laute äußern können, im Vogel selbst eine ähnliche Stimmung hervorruft. Dazu sind die Ausdrucksbewegungen ja eben da. Wenn man schon durchaus eine Analogie mit menschlichem Verhalten heranziehen will, so kann man sagen, die betreffende Reaktion ,wirke ansteckend' wie bei uns das Gähnen."
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