Lexikon der Neurowissenschaft: evolutionäre Erkenntnistheorie
evolutionäre Erkenntnistheoriew, Eevolutionary epistemology, Theorie, welche Erkenntnis und Erkenntnisfähigkeit (Erkenntnistheorie) aus evolutionsbiologischer Sicht (Evolution) zu erklären versucht. Die aus der philosophischen Erkenntnistheorie (Kant) stammenden Betrachtungen über die menschliche Erkenntnis und Erkenntnisfähigkeit werden im Rahmen der evolutionären Erkenntnistheorie als Ergebnis eines evolutionären Prozesses gesehen. Die evolutionsbiologische Betrachtung erfordert die Berücksichtigung proximater und ultimater Aspekte und kommt von daher zwangsläufig zu der Vorstellung, daß es Vorstufen der menschlichen Erkenntnis gibt, sowohl in den Realisierungsmechanismen als auch in ihrer Leistungsfähigkeit. Der biologische Sinn von Erkenntnis liegt eindeutig in der damit gewonnenen und verbesserbaren Anpassungsfähigkeit. Offenbar haben sich immer diejenigen Erkenntnisfähigkeiten herausgebildet, die den für die betreffende Art wichtigen Ausschnitt der Realität so exakt wie nötig erfassen. Innerhalb dieses Bereichs arbeiten die Erkenntnismechanismen zweckmäßig; außerhalb zeigen sie Mängel oder gar Fehlleistungen (Fehlverhalten) und charakterisieren damit artspezifische Grenzen der Erkenntnisfähigkeit. Alle Erfahrung und Vernunft erklärt die evolutionäre Erkenntnistheorie daher mit dem Zusammenspiel phylogenetischer, tradigenetischer sowie ontogenetischer Anpassungsprozesse. Kein Individuum einschließlich des Menschen beginnt den Erkenntnisprozeß als "tabula rasa", sondern auf der Basis eines phylo- und ontogenetisch bewährten Pools an Vorwissen und Vorstellungen. Subjektive Erkenntnis paßt laut evolutionärer Erkenntnistheorie deshalb zur umgebenden Realität (objektive Realität), weil sie sich in Anpassung an diese entwickelt hat. Auf diese Weise ergibt sich eine hinreichende, aber nicht perfekte Übereinstimmung zwischen Realität und Erkenntnis. Dies gilt im Prinzip auch für menschliche Erkenntnis, wenngleich diese aufgrund der Komplexität individueller und kollektiver sowie kulturell entstandener Erkenntnisstrategien eine völlig neue Ebene von Erkenntnisprozessen darstellt, die nach wie vor Gegenstand spezifischer philosophischer Erkenntnistheorien sind. Die aktuellen Naturwissenschaften, insbesondere Neuro- und Kognitionswissenschaften, sind mehr und mehr in der Lage, die Funktionsweise der Strukturen und Mechanismen, die an Erkenntnisprozessen beteiligt sind, aufzuklären. kognitive Neurowissenschaft.
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