Lexikon der Neurowissenschaft: Spielen
Spielen s,Spielverhalten, Eplay,play behaviour, Verhalten, das mit einzelnen Elementen von Erkundungs-, Neugier-, Nachahm- und Wiederholverhalten sowie motorischen Übens u.a. einen eigenständigen Verhaltenskomplex mit hoher Redundanz bildet, der sich ohne unmittelbaren "Ernstbezug" (im Sinne einer Gebrauchshandlung) der einzelnen Verhaltensanteile auszeichnet. Spielen dient der vorsorglichen Gewinnung von Information bzw. dem Einüben sozialer und motorischer Fertigkeiten, die in späteren Entwicklungsphasen im Ernstbezug verwendet werden ( siehe Zusatzinfo ). Spielen ist insbesondere in den frühen nachgeburtlichen Phasen von entscheidender Bedeutung für die gesamte weitere Verhaltensentwicklung und daher als eine besondere Form des Lernens anzusehen, die vor allem in den frühen individuellen Entwicklungsphasen obligatorischen Charakter zu tragen scheint (obligatorisches Lernen). Das Spiel ist zugleich ein wichtiges Mittel zum Aufbau und Ausbau nonverbaler Kommunikation zwischen den Lebewesen. Die Fähigkeit zum Spielen setzt sehr komplexe Nervensysteme voraus, die zum Zeitpunkt der Geburt funktionell und feinstrukturell noch nicht vollständig ausgebildet sind. Dies wird erst durch nachgeburtliche individuelle Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung erreicht, wozu das Spielverhalten offenbar in erheblichem Maß beiträgt. Tierexperimentell konnte der Einfluß des Spielens auf die synaptische Organisation insbesondere der phylogenetisch jüngsten Hirnanteile (Neocortex) bereits nachgewiesen werden. Eine solche postnatale individuelle Reifung von Hirnprozessen erlaubt eine bessere Anpassung an die Umweltbedingungen. In der Phylogenese wird das Spielen erstmalig bei Fischen und Vögeln beobachtet (Jagdspiele, Fluchtspiele und Spiele mit Gegenständen). Bei den Säugern nimmt das Spiel bei den Jungtieren einen breiten Raum ein. Beim Menschen, und in Ansätzen auch bei anderen Säugern wie etwa bei Menschenaffen, Delphinen, Raubkatzen und Robben, bleibt die Handlungsbereitschaft (Motivation) zum Spielverhalten lebenslang erhalten, wenn auch mit quantitativen und funktionellen Unterschieden gegenüber den postnatalen Entwicklungszeiträumen. So tritt sicher beim sogenannten "Erwachsenenspiel" der Aspekt des obligatorischen Lernens gegenüber einer sozialen Funktion bzw. eines individuell kreativ-explorativen Moments zurück. Bei anderen adulten Tieren verliert sich das Spielen sowie der größte Teil der als Spielverhalten zu deutenden Verhaltensanteile, zumindest im Sinne obligatorischer Lernprozesse. – Eine Reihe von tierischen und menschlichen Störungen der Verhaltensentwicklung scheint mit Störungen bzw.Verhinderung ausreichenden Spielverhaltens zusammenzuhängen, z.B. durch chronisch aktivierte vitale Bereitschaften oder gar anhaltende Angst- oder Verunsicherungszustände. Hochgradig komplex wird das Spielen bei Tieren, die mit erlernten Aktionen spielen und sogar Aktionen speziell entwickeln, um die Spielbereitschaft zu befriedigen, z.B. höhere Affen, Großraubtiere, in Einzelfällen Huftiere usw. Auf Grund der spezifisch kulturellen Entwicklung des Menschen gibt es bei ihm auch eine von der jeweiligen Kultur bestimmte Spielkultur (Tradition) bei Kindern und Erwachsenen.
Lit.:Hassenstein, B.: Instinkt, Lernen, Spielen, Einsicht. München 1980. Eigen, M., Winkler, R.: Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall. München 1985.
J.O./L.P.
Spielen
Die Art der im Spiel ausgeführten Aktionen ist äußerst vielfältig und individuell sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr unterschiedlich: Sie kann im Prinzip das gesamte artspezifische Verhaltensrepertoire einschließlich individuell erlernten Verhaltens umfassen. So gibt es eine eigene Spiel-Appetenz sowie erlernte oder angeborene Signale als Spielaufforderung an Partner. Z.B. werden aggressive Aktionen (Aggression) bei Kampf-Spielen junger Katzen mit Sicherheit nicht von Kampf- oder Abwehrbereitschaft motiviert.
Der Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Spielen liegt weniger in der elementären Spielsteuerung, der Spielbereitschaft usw. als im Verhaltensrepertoire selbst, das der Spielsteuerung zur Verfügung steht. So sind z.B. Sprachspiele bei Kindern sehr beliebt, aber nur beim Menschen möglich. Auch Nachahmung anderer ist im menschlichen Spiel von großer Bedeutung, es konnte sonst nur bei Menschenaffen sicher nachgewiesen werden. Soziale Rollenspiele u.ä., die beim Kind im 4. Lebensjahr gehäuft auftreten, sind Tieren nicht möglich. Generell kann das Spielen von Tier und Mensch als Verhaltensprogramm zur Gewinnung von Erfahrung charakterisiert werden. Dieses Programm ist darauf zugeschnitten, den Jungtieren ohne große Gefährdung ein Höchstmaß an Erfahrung zu ermöglichen und dabei die allgemeine Geschicklichkeit zu vervollkommnen.
Für den Menschen ist das Spiel zum Ausbau und zur Erhaltung der mentalen Repräsentation als Grundlage seines Verhaltens während des ganzen Lebens wichtig. Das Spiel verbindet sich beim Menschen mit allen anderen Formen der sozialen (averbalen und verbalen) Kommunikation: mit der Musik, mit dem Tanz, mit dem künstlerischen Schaffen, mit den Körpergesten und mit dem Sexualverhalten.
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