Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Gott

Zentralbegriff in vielen Religionen (und deren Theologie), der Religionswissenschaft wie auch in der abendländischen Metaphysik. In beiden wird der Begriff in einer Vielfalt von Bezügen verwendet. In den Religionen z.B. werden viele Götter verehrt (Polytheismus), oder ein Hauptgott (Henotheismus) oder nur ein G. (Monotheismus); G. oder Götter bezeichnet dort mal ein absolutes Wesen, mal eine hilfreiche Kraft, mal dämonenartige Wesen oder sogar einen Teil der schlechten Schöpfermacht (so die Devs im Mazdaismus). – Grundsätzlich sind der Gottesfrage gegenüber folgende Haltungen möglich: die Leugnung seiner Existenz (Atheismus), die Verneinung der Erkennbarkeit (Agnostizismus) und die Behauptung beider (Theismus).

Die abendländische Verwendung des Wortes schöpft aus zwei Quellen: Die griech. Philosophie bezeichnet G. ontologisch als »in jeder Hinsicht vollkommen« (Platon: Politeia 381b) oder als »das erste und eigentlichste Prinzip« (Aristoteles: Met. 1064a 37). Die biblischen Schriften stellen G. als Person, als weltüberlegenen, transzendenten Schöpfer vor, dessen Wille in die Geschichte eingreift, nach christlichem Bekenntnis einmalig inkarniert in Jesus. Seit der Patristik gehen beiderlei Herkunft in Philosophie und Theologie wechselnde Verbindungen ein. Durch Gottesbestimmungen v.a. platonischer Herkunft wird von Beginn christlicher Reflexion an eine Verschränkung erleichtert, etwa durch seine Benennung als das höchste Gut, die mittel- und neuplatonisch betonte göttliche Transzendenz, die schöpfungstheologische Umdeutung der Ideenlehre oder die Deutung der Heilsgeschichte im (neuplatonischen) Schema von proodos und epistrophe (Fortgang und Umkehr).

Spät-MA. und Reformation akzentuieren besonders stark den Willen G.es. Schriftprinzip, Christozentrik und Misstrauen gegenüber natürlich-vernünftiger Gotteserkenntnis führen z.B. Luther dazu, »im gekreuzigten Christus die wahre Theologie und Gotteserkenntnis« zu sehen. Die katholische Theologie hat mit Verweis auf Paulus (Römerbrief 1,20) stets an der Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis festgehalten. Die Diskrepanz zwischen dem »G. Abrahams, Isaaks und Jakobs und dem G. der Philosophen« (Pascals Memorial; vgl. Weischedel, S. XVII) tritt in der Neuzeit deutlicher hervor. Als extreme Standpunkte könnten auf der einen Seite Spinozas »amor dei intellectualis« gelten, auf der anderen K. Barths dialektische Theologie: Setzt Spinoza G. mit der einen Substanz gleich, von deren Modi uns nur Denken und Ausdehnung zugänglich sind (sein G. ist also nicht mit dem biblischen vergleichbar), ist für Barth G. nur durch die Offenbarung zu erreichen. Alles andere ist »trunkene Verwischung der Distanzen« (vgl. Zahrnt, S. 35).

G. wird in der abendländischen philosophischen Theologie bestimmt als höchstes Sein, ein »Prinzip, dessen Wesen Verwirklichung« ist (Aristoteles: Met. 1071b 20). v.a. in neuplatonischer Perspektive wird ihm damit auch die größtmögliche Einheit zugesprochen. Das Erste und Eine ist gleichzeitg aber auch wesentlich gut (Platon: Politeia 379). Weitere Attribute G.es sind Einzigkeit (im islamischen Bekenntnis an erster Stelle), Unwandelbarkeit, Ewigkeit, Allmacht und Allwissenheit (vgl. Boethius: Consolatio IV und V). Aus Letzteren ergeben sich beständige »Interferenzprobleme« mit der menschlichen Freiheit: Wie frei kann menschliche Wahl noch genannt werden, wenn G. ihr Ergebnis schon im Voraus kennt? Ähnliche Fragen stellen sich auch durch die von Augustinus inaugurierte Gnadenlehre: Wie gründet die Freiheit des Menschen zum Guten in der allmächtigen Güte G.es? Dass G. unkörperlich sei, ist vorrangiger, aber nicht einheitlicher Befund in der abendländischen Tradition: Die Gotteslehre der Stoiker z.B. schreibt ihm materiellen Bestand (z.B. Feuer) zu und noch Tertullian nennt G. »corporalis«. Dazu kommen kosmologische »Funktionen«: G., bei Aristoteles (Met. 1072 b) »ein lebendes, ewiges und bestes Wesen«, ist auch der erste unbewegte Beweger: er ist »das, was als Erstes von allem alles bewegt« (ebd. 1070 b 34f), und zwar »wie etwas, das geliebt wird« (1072 b 3), denn Begehrtes und Gedachtes bewegt, ohne bewegt zu sein. Thomas von Aquin nimmt die kosmologischen Argumente in den »quinque viae« (S.Th. I,2,3 c; Gottesbeweis) auf. Danach folgen für das, »was alle Gott nennen«, neben dem unbewegten Beweger, G. als erste Ursache und als das, was von sich aus notwendig ist. Hinzukommen noch die Bestimmungen G.es als dem, was höchst gut, höchst wahr und höchst seiend ist und die Gradualität innerhalb des Seienden ermöglicht und der oberste Lenker, der alle natürlichen Dinge auf ihr Ziel zuordnet.

Neben dem ontologisch-kosmologischen eröffnet v.a. Augustinus einen weiteren Weg: Die Selbsterforschung erschließt dem Menschen die Erkenntnis G.es. Augustinus’ Formulierung: »Du aber [G.] warst mir noch innerer als mein Innerstes und höher als mein Höchstes« (Confessiones III 6;11). Locus classicus ist das X. Buch der Confessiones mit seiner Wegbeschreibung durch die Stufen des Gedächtnisses (memoria). Dieser G.es-Gedanke entfaltet sich im wechselseitigen Verhältnis von G.es- und Selbstbewusstsein: Bei Descartes begründet die Gottesidee, die einen täuschenden G. ausschließt, die Möglichkeit sicherer Erkenntnis; bei Hegel deckt sich das Sich-selbst-Wissen des Menschen und G.es: Der Mensch weiß nur von G., insofern G. im Menschen von sich selber weiß.

Für das Verhältnis G.-Welt sind folgende Modelle paradigmatisch: (1) Ineinssetzung: Die Welt in ihrer Gesamtheit gilt als göttlich (Pantheismus). (2) Emanation: Die Welt ist Ausfluss des Göttlichen (besonders im neuplatonischen Denken ist der stufenweise Hervorgang aus dem göttlichen Einen ausgestaltet). (3) Radikale Verschiedenheit: Die »negative Theologie« lebt aus der Unangemessenheit weltlicher Kategorien für das schlechthin Transzendente. Alle Bezeichnungen, Prädikate und Metaphern können nicht auf das Göttliche selbst zutreffen. In diesem Sinne nennt z.B. Dionysios Areopagita G. »überwesentlich, überseiend«. (4) Teilhabe: Die Welt ist nur in Teilhabe am göttlichen Sein; sprachlich korrespondiert die Redeweise der Analogie: das G.-Welt-Verhältnis ist als ähnlich nur bei gleichzeitiger Unähnlichkeit auszusprechen. (5) Indifferenz: »Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig« (Wittgenstein). Am deutlichsten vertritt der Deismus das Prinzip, dass G. nicht (mehr) in die Welt eingreift.

Literatur:

  • Art. »Gott«. In: HWPh
  • S. Moser/E. Pilick (Hg.): Gottesbilder heute. Königstein/Ts. 1979
  • O. Muck: Philosophische Gotteslehre. Düsseldorf 1983
  • H. Rössner (Hrsg.): Der nahe und der ferne Gott. Berlin 1981
  • H.-J. Schultz (Hg.): Wer ist das eigentlich – Gott? München 1969
  • W. Weischedel: Der Gott der Philosophen. 2 Bde. München 21985.

PK

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.