Lexikon der Neurowissenschaft: Komplexauge
Komplexauge s [von latein. complexus = Umfassen, Verknüpfung], Facettenauge, Netzauge,E compound eye,Augentyp bei Gliederfüßern und, durch konvergente Entwicklung, bei einigen Ringelwürmern (Auge). Es setzt sich im einfachen Fall aus identisch gebauten Seheinheiten, den Ommatidien, zusammen, die mit ihren Linsen ein hexagonales, bienenwabenartiges Muster bilden ( siehe Abb. 1 ). Je nach Tierart kann ein Komplexauge zwischen einige wenige und mehrere Zehntausende (Libellen) von Ommatidien besitzen. Jedes Ommatidium ( siehe Abb. 2 ) besitzt bei Krebstieren und Insekten eine cuticuläre Linse (Cornea, Cornealinse), die bei Krebstieren von zwei pigmentlosen corneagenen Zellen, bei Insekten von diesen homologen Hauptpigmentzellen gebildet wird. Die Cornea ist meist bikonvex und hat dadurch typische Linseneigenschaften. Bei aquatischen Formen (Krebstieren) ist sie häufig plankonvex. Besonders bei Insekten trägt die Linsenfläche viele kleine Protuberanzen (Nippel), die der Vermeidung von Reflexionen dienen. Unter der Cornea findet sich ein Kristallkegel, der im ursprünglichen Fall einen aus speziellen transparenten Substanzen bestehenden Conus darstellt und aus vier Sektoren zusammengesetzt ist; diese werden von vier Semperzellen gebildet. Kristallkegel haben die Funktion, das durch die Cornea fokussierte Licht auf der distalen Spitze der Lichtsinneszellen (Rhabdom, siehe unten) zu bündeln. Sie sind transparent und weisen oft als Besonderheit zur Kegelspitze sich kontinuierlich ändernde Brechungsindizes auf. Solche Kristallkegel werden als eukon bezeichnet (eukone Augen). Falls die vier Semperzellen keine eigenen Conussubstanzen bilden, sondern selbst nur transparent sind, spricht man von einem akonen Kristallkegel (akone Augen). In der Verlängerung der optischen Achse sind acht Sehzellen (Retinulazellen) radiärsymmetrisch angeordnet, die zu ihrem Zentrum jeweils einen Mikrovillisaum, das Rhabdomer, ausbilden. Alle zusammen bilden das Rhabdom. Dieses fungiert wegen der hohen optischen Dichte der Mikrovillimembranen als Lichtleiter: In den Saum-Membranen sind die Sehfarbstoffe eingelagert. Rhabdome sind bei den verschiedenen Krebs- und Insektengruppen sehr unterschiedlich aufgebaut. Im Längsschnitt unterscheidet man geschichtete und ungeschichtete Rhabdome. Erstere entstehen dadurch, daß im Längsverlauf eines Rhabdomers periodische Unterbrechungen der Mikrovillisäume auftreten. In diese Lücken treten entsprechende Mikrovillisäume benachbarter Retinulazellen und füllen diese Leerräume ihrerseits aus. Vom Rhabdomquerschnitt her unterscheidet man offene und geschlossene Rhabdome ( siehe Abb. 3 ). Letztere sind so zusammengesetzt, daß alle Rhabdomere dicht zusammenstoßen. Bei offenen Rhabdomen stehen alle oder große Teile der Rhabdomere isoliert. Funktionell bedeutet dies, daß geschlossene Rhabdome einen einzigen Lichtleiter bilden. Bei offenen Rhabdomen bildet jedes Rhabdomer einen von den übrigen Lichtsinneszellen optisch isolierten Lichtleiter ( siehe Zusatzinfo ). – Da sich im Komplexauge die Gesichtsfelder der Einzelaugen nur wenig überschneiden und die einzelnen Ommatidien nicht akkommodieren können, ist dessen räumliches Auflösungsvermögen begrenzt. Abzubildende Gegenstände werden in Einzelpunkte zerlegt und müssen neural wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Eine Verbesserung der Sehschärfe wird jedoch durch das hohe zeitliche Auflösungsvermögen der Komplexaugen erreicht. Durch rasches optisches Abtasten der Umgebung können viele Details erfaßt und zu Formen zusammengefügt werden. Das Spektrum des für Komplexaugen sichtbaren Lichts (300-650 nm) ist im Vergleich zum Säugerauge zum Ultraviolett hin verschoben oder insgesamt erweitert, da manche Insekten zusätzlich auch Rotwahrnehmung besitzen. Eine besondere Leistung liegt in der Wahrnehmung der Polarisationsmuster des Tageslichts (Polarisationssehen).
Komplexauge
Abb. 1: Komplexauge, zum Teil aufgeschnitten
Abb. 3: Querschnitt durch ein Ommatidium mit geschlossenem (1) bzw. offenem (2) Rhabdom
Komplexauge
Es gibt drei verschiedene Typen von Komplexaugen, die sich vor allem in der Lichtstärke unterscheiden: in den Appositionsaugen sind die einzelnen Ommatidien durch Pigmentzellen derart voneinander abgetrennt, daß das Licht, welches durch die Linse eines Ommatidiums einfällt, nicht in die benachbarte Ommatidie gelangt. Diese Augen sind gut geeignet für alle tagaktiven Insekten, für die ausreichend Licht zur Verfügung steht. Dämmerungs- und nachtaktive Tiere besitzen optische Superpositionsaugen. Hier sind die Pigmentzellen nur kurz, die Ommatidien also nur unvollständig voneinander abgeschirmt. Licht, das durch die Linse eines Ommatidiums fällt, gelangt auch in die benachbarten Ommatidien. Somit wird das Auge wesentlich lichtstärker, verliert jedoch auch an Auflösungsvermögen. Höhere Dipteren haben einen dritten Augentyp entwickelt, den des neuralen Superpositionsauges: Hier sind die Ommatidien wie beim Appositionsauge vollständig voneinander abgeschirmt, jedoch konvergieren die Axone einzelner Rhabdomere benachbarter Ommatidien, welche auf denselben Punkt der Umwelt sehen, auf dasselbe nachgeschaltete Neuron. Dieses bildet einen Mittelwert aus den eingehenden Einzelinformationen und verbessert dadurch das Signal. Superpositionsauge.
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