Lexikon der Biologie: Tertiär
Tertiärs [von ä *tertiär- ], (G. Arduino 1759 für Lockergesteine am Fuße der oberitalienischen Alpen: „Montes tertiarii“), Tertiärsystem, Tertiärformation, Braunkohlenzeit, ältere Periode der Erdneuzeit (= Känozoikum; Erdgeschichte [Farbtafel]) von ca. 63 Millionen Jahren Dauer. Die Grundzüge der Tertiär-Gliederung ( ä vgl. Tab. ) gehen vor allem auf C. Lyell (1832) zurück. Nach dem Anteil heute lebender Arten an der Gesamtfauna ( ä vgl. Infobox ) unterschied er: Eozän = 3,5%, Miozän = 17% und Pliozän = 35%. Später fügten andere Bearbeiter Oligozän (1854) und Paleozän (Paläozän; 1874, 1885) hinzu. Die Zweiteilung des Tertiärs in Paläogen (Alttertiär) und Neogen (Jungtertiär) ergab sich aus der geländemäßigen Signifikanz der hellen mio-pliozänen Kalke gegenüber den andersfarbigen älteren Ablagerungen im Bereich der Tethys. Hauptverbreitungsgebiete des Tertiärs in Europa sind der Nordseeraum (Norddeutschland, Niederlande, Belgien, Südengland, Dänemark), Hessen, der Oberrheingraben und das Voralpengebiet, Pariser, Aquitanisches und Wiener Becken sowie die Mittelmeerländer. – Die stratigraphischen Grenzen liegen derzeit an der Basis des Danium (früher zur Kreide gerechnet) und unterhalb des Calabrium (Pleistozän). Die Kreide-/Tertiär-Grenze, die zugleich Mesozoikum und Känozoikum trennt, bildet deshalb das katastrophale Ereignis, zu dem u.a. auch das Aussterben der Dinosaurier gehört. – Leitfossilien im marinen Bereich: vorwiegend kalkiges Nanoplankton, Großforaminiferen (Foraminifera), Schnecken, Muscheln und Seeigel; im terrestrisch-limnischen Bereich: Pflanzenpollen, Blätter und Hölzer, Weichtiere, Säugetiere (Nordamerika und Europa). Das kontinentale Tertiär in Nordamerika gliedert man vor allem mit Hilfe von Mammalian ages bzw. stages. – Gesteine: Tone, Mergel, Sande und Sandsteine, Schotter und Konglomerate, Kalke, Evaporite, Flysche, Molassen und Nagelfluhen, Braunkohle, Bohnerz, Kaolin, Vulkanite (Basalt, „Trapp“, Phonolith, Limburgit, Tephrit und andere). – Paläogeographie: Im Laufe des Tertiärs zog sich das Meer schrittweise auf seine heutigen Grenzen zurück. Mit Ausnahme der Tethys-Region (Kontinentaldrifttheorie) finden sich deshalb tertiäre Meeresablagerungen vorwiegend in der Nähe heutiger Meeresküsten. Landablagerungen sind beträchtlich weiträumiger überliefert als aus älteren erdgeschichtlichen Systemen. Die größte Transgression fand im Eozän und Oligozän statt. Die Öffnung und Schließung von Landbrücken übten einen wesentlichen Einfluß auf die Verbreitung der Landwirbeltiere aus. Der holarktische Großkontinent (Holarktis) war für die Evolution der Säugetiere bedeutsam. Im Tertiär fand die größte Kohlenbildung (Braunkohle) aller Zeiten nach dem Karbon statt. Auf die Regression in der Oberkreide setzte im Paleozän eine nachfolgende Transgression ein, die im Eozän ihren Höhepunkt erreichte und Teile von Norddeutschland und Dänemark überflutete. Dort kann das Tertiär Schichtmächtigkeiten bis zu 3,5 km erreichen. Auf dem südlich anschließenden Mitteleuropäischen Festland entstanden weite Verebnungsflächen mit rötlichen (Laterit) oder weißlichen (Kaolin) Verwitterungsdecken. Karstspalten (Karst) füllten sich neben Bohnerzen und Roterden mit Säugetierresten, die – weil oftmals verkieselt – meist in vorzüglicher Erhaltung überliefert sind. Nach vorübergehendem Rückzug drang das Meer unter Ablagerung von Evaporiten (Salz, Kalisalz und anderen) im Oligozän erneut gegen das Festland vor und stellte im Rupelium über Oberrheingraben und Hessische Senke eine Verbindungsstraße zwischen Tethys im Süden und dem Nordmeer her. Im Mio- und Pliozän griff das Meer nur noch kurzfristig auf die Küsten Mittel- und Westeuropas über. – Durch Ausweitung des Ozeanbodens (sea-floor-spreading) gewannen die Weltmeere große Flächen hinzu. – Krustenbewegungen: Die schon in der Kreidezeit in Gang gekommene alpidische Gebirgsbildung ergriff im Tertiär auch die West- und Ostalpen, darüber hinaus die Geosynklinalräume der übrigen alpidischen Gebirge (z.B. Pyrenäen, Apennin, Dinariden, Helleniden, Himalaya, Anden). Vorgelagerte Flysch- und Molasse-Tröge wurden weitgehend von der Faltung erfaßt. Deren Intensität steigerte sich vielerorts bis zum Zerreißen von Faltenschenkeln und zu weiträumigen Deckenüberschiebungen (Deckengebirge). Im Eozän kollidierte Indien mit Asien, und Grönland und Norwegen (Polarregion) drifteten auseinander. Zwischen aufsteigenden Gebirgen entstanden aus der Tethys mehrere, zunehmend isolierte Meeresbecken, die Paratethys. Die Vorlandbecken der Alpen wurden nach und nach verfüllt. Im Oligozän schloß sich die Östliche Tethys, und verbreitet finden sich Schichtlücken in den Tiefseesedimenten. Im Miozän kam das Auftauchen des Island-Färöer-Rückens zum Abschluß; neue Tiefwasserbereiche im Nordatlantik waren die Folge. Ebenso hatte die Gebirgsbildung in Europa und Asien große Auswirkungen auf die marine Fauna. Vor allem im Neogen entstanden gewaltige Grabensysteme, zu denen neben Rotem Meer (ab Miozän) und Jordangraben u.a. auch der Oberrheingraben gehört. Tiefe Zerspaltung der Erdkruste (Erde) eröffnete dem Magma neue Wege zu ausgedehntem Vulkanismus – vorwiegend im Eozän und Miozän –, der seit dem Ende des Paläozoikums fast zur Ruhe gekommen war. Im Pliozän schlossen sich der Isthmus von Panama (wichtige Landbrücke!) und die Straße von Gibraltar, die sich erst im Miozän geöffnet hatte; das Mittelmeer (Mediterranregion) begann zu versalzen. – Klima: Pole und Kontinente näherten sich im Tertiär ihren heutigen Positionen. Die mesozoische Wärmezeit (Interglazial) der Erde erreichte im Eozän einen neuen Höhepunkt. Von hier ab bis ins Miozän fanden üppige Braunkohlenwälder (limnische und paralische Braunkohle) hervorragende Standortbedingungen. In marinen Sedimenten bildeten sich dagegen reiche Erdöllagerstätten (Erdöl). Bis zum Pleistozän folgte jedoch beständige Abkühlung. Nahe dem Tiefseeboden sanken die Temperaturen von 10 °C im Oligozän auf 7 °C im Miozän und 1,5 °C in der Gegenwart. Die wärmeliebenden Korallenriffe (Riff) – im Eozän noch in Südengland und im Miozän im Wiener Becken heimisch – zogen sich auf die Äquatorialregion zurück. Ersatz tropischer Wälder durch gemäßigte Gras-Steppen hatte auch intensivere Veränderungen in der Tierwelt zur Folge (z.B. Umstellung von Laub- auf Grasnahrung). Im Miozän trat eine merkliche Vergrößerung des antarktischen Eisschildes auf. Im Pliozän setzte die Vereisung der Arktis ein. Brongniart (A.), Cuvier (G. de), Geochronologie, Paläoklimatologie, Steinzeit, Tertiärrelikte.
S.K./W.R.
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