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Lexikon der Biologie: Atmung

Atmung, zusammenfassende Bezeichnung für alle Prozesse, die die Aufnahme molekularen Sauerstoffs in den tierischen und pflanzlichen Organismus, seinen Transport (Sauerstofftransport) in die Zelle und seine Reduktion zu Wasser über die in den Mitochondrien lokalisierte Atmungskette sowie die Produktion und Abgabe von Kohlendioxid bewerkstelligen.
1) Atmung bei Tieren: Von der äußeren Atmung (Gaswechsel, Respiration), d. h. die Aufnahme von Sauerstoff (O2) und Abgabe von Kohlendioxid (CO2), wird die innere Atmung (Zellatmung, Dissimilation), d. h. die Verarbeitung des O2 in der Zelle, unterschieden. Innere und äußere Atmung hängen eng miteinander zusammen, da die abbauenden Stoffwechselvorgänge (Abbau), die zum Energiegewinn der Zelle führen, insgesamt oxidativer Natur sind. Die Atmungsintensität eines Tieres ist daher ein Maß für die Stoffwechselintensität, ausgedrückt durch den Verbrauch von ml O2/(g×h) (Respirometrie). Sie ist von den verschiedensten inneren und äußeren Faktoren (Lebensraum, Lebensweise, Aktivität, Größe, Temperatur, Entwicklungszustand) abhängig. Der Primärprozeß der äußeren Atmung besteht immer in einer Diffusion und ist an ein Gaspartialdruckgefälle (Partialdruck) gebunden. Die Diffusionsgeschwindigkeit hängt von verschiedenen Parametern (Diffusionsfläche, Partialdruckgefälle bzw. Konzentrationsgradienten, Diffusionsstrecke) ab. Das Ficksche Diffusionsgesetz (Diffusion) beschreibt die Zusammenhänge quantitativ. Im Tierreich sind vielfältige Einrichtungen entwickelt worden, die dem Antransport von O2 an die Gasaustauschfläche und dem Abtransport von CO2 dienen: Atmungsorgane bzw. solche Organe, die den Weitertransport der Atemgase (Atemgastransport, Blutgase) im Körper übernehmen (Blutkreislauf), oft mit Antriebsvorrichtung (Herz). Je nach Leistungsfähigkeit von Atmungsorganen und Blutkreisläufen wird das Partialdruckgefälle an der Austauschfläche mehr oder weniger groß gehalten und damit die Diffusion erleichtert. Die Austauschfläche selbst zeichnet sich häufig durch eine starke Oberflächenvergrößerung aus (Lungen-Alveolen, -Bronchiolen, Kiemenblättchen). Die beiden Atemmedien Luft (Atmosphäre) und Wasser sind in unterschiedlicher Weise für den Gaswechsel geeignet und verlangen entsprechende Anpassungen. Die Gaszusammensetzung der Luft ist im Gegensatz zu der des Wassers weitgehend konstant. Die einzelnen Partialdrücke addieren sich dabei zum Gasgesamtdruck, wobei noch der temperaturabhängige Anteil des Wasserdampfes zu berücksichtigen ist. Die Zusammensetzung der Gase im Atemmedium Wasser wird durch ihre Löslichkeit, die Temperatur, vorhandene Salze und die Intensität des Luftaustausches bestimmt. An der Luft-Wasser-Grenzschicht sind die Partialdrücke, nicht aber die Gaskonzentrationen, gleich, was auf der unterschiedlichen Löslichkeit der Gase in Wasser beruht. Wegen der geringen Löslichkeit von O2 und der hohen von CO2 in Wasser ist die O2-Versorgung für Wassertiere, dagegen die CO2-Abgabe für Landtiere das größere Problem. Wassertiere, insbesondere sessile, besitzen häufig Strudeleinrichtungen, die dann sowohl dem O2-Antransport als auch dem Nahrungserwerb dienen. Bei kleinen Wasserbewohnern reichen reine Diffusionsprozesse aus, um den O2-Bedarf zu decken (Einzeller, Hohltiere, Plattwürmer, Schnurwürmer, Rädertiere, Fadenwürmer, eine Reihe von Ringelwürmern, Moostierchen, Larven mariner Tiere und andere). Schwämme werden von einem Kanalsystem durchzogen, das Nahrung und O2 in alle Bereiche des oft sehr großen Tierstocks führt, die eigentliche Atmung erfolgt ebenfalls durch Diffusion. Größere Wasseratmer müssen durch Ventilation ihr Atemwasser erneuern, was oft erhebliche Leistungen erfordert (bei Fischen ca. 30% des Ruheumsatzes gegenüber 2–3% des Atemumsatzes beim Menschen). Einige wasserbewohnende Tiere (Lungenfische, Aale, Krebstiere) sind fakultative bis obligate Luftatmer geworden. Ihre Anpassungen stehen modellhaft für den phylogenetischen Übergang zur Luftatmung. Neben den Kiemen und der Haut werden bei diesen Tieren die Mundhöhle (Mund), die Kiemenhöhle bzw. die Carapaxhöhle bei Krebsen, der Darm oder die Schwimmblase zum Atmen benutzt, auch echte Lungen sind schon ausgebildet (Atmungsorgane). Stark durchblutete Epithelien kleiden die Atemhöhlen aus und dienen der O2-Aufnahme, das CO2 wird bei all diesen Arten weiterhin im wesentlichen über die Haut und die Kiemen abgegeben. Die einfachste Form der Luftatmung besteht ebenfalls in einer reinen Diffusion, so z. B. bei Fadenwürmern und kleinen Insekten (z. B. Springschwänzen). Bei größeren Tieren werden die Atmungsorgane (Lunge, Tracheensystem) durch Bewegungen der Thorax- bzw. Abdominalmuskulatur ventiliert. Unter den Lungenatmern sind zwei Ventilationstypen zu unterscheiden. Beide dienen nicht der Erzeugung eines kontinuierlichen Stroms des Atemmediums wie bei den Kiemen, sondern dem Austausch eines bestimmten Volumens des Atemmediums. Bei der Druckventilation (Froschlurche) wird Luft durch Gaumen- und Schluckbewegungen in die Lunge gepreßt. Diese Kehlatmung der Amphibien, die dem Luftschlucken der Lungenfische noch sehr ähnlich ist, wird als die ursprünglichste Form der Atmung angesehen. Bei der Saugventilation (Vögel, Säugetiere) wird ein Unterdruck durch Vergrößerung des Brustkorbs (Brust) während des Einatmens erzeugt. Dieses kann durch Rippenatmung oder Brustatmung (costale Atmung, Costalatmung) mit einer Hebung der Rippenbögen (Rippen) oder durch Zwerchfellatmung (abdominale Atmung, Bauchatmung) mit einem Absenken des in den Thoraxraum hereinragenden Zwerchfells geschehen. Beide Atmungstypen gemeinsam ventilieren die Säugerlunge. Die früher geäußerte Annahme, daß Frauen mehr dem costalen, Männer dem abdominalen Atmungstyp angehören, hat sich als irrig erwiesen. Vielmehr ist der Atmungstyp vom physiologischen Zustand (Alter mit eingeschränkter Thoraxbeweglichkeit, Schwangerschaft mit verstärkter Costalatmung) und Bekleidungsmoden (Korsett) abhängig. Bei Vögeln bewirkt ein Absenken des Brustbeins (Sternum) zusammen mit einer Erweiterung der Rippenbögen die Volumenvergrößerung des Brustkorbs. Die genauen Druck- und Volumenbeziehungen, die sich unter Berücksichtigung der elastischen Atemwiderstände von Lunge und Thorax ergeben, werden in der Atemmechanik quantitativ erfaßt. Abgesehen von einer willkürlichen Ausatmung (Exspiration), ist bei Säugern die Einatmung (Inspiration) ein aktiver Vorgang, die Exspiration dagegen weitgehend passiv, andere Tiere (Vögel und Schildkröten) atmen aktiv aus und ein. Die koordinierten Atembewegungen werden zentralnervös reguliert (Atmungsregulation). Der normalerweise regelmäßigen Atmung von Vögeln und Säugern mit je nach Körperbelastung, Alter, Größe und Konstitution unterschiedlicher Frequenz (Atemfrequenz) steht die intermittierende Atmung von Reptilien, Amphibien und Insekten mit periodischen "bursts" gegenüber. Die Atemkapazität ist für die menschliche Lunge genau untersucht und durch verschiedene Kenngrößen charakterisiert: Unter Ruhebedingungen erfolgen pro Minute etwa 15 Atemzüge, während deren beim Erwachsenen etwa 0,5 l Luft aufgenommen werden (Atemzugvolumen, Atemvolumen;Atemminutenvolumen). Forcierte Inspiration vermehrt die aufgenommene Luft (Atemvolumen + Einatmungsreservevolumen), eine entsprechende Luftmenge kann bei maximaler Exspiration zusätzlich zur normalen Atmungsluft ausgeatmet werden (Ausatmungsreservevolumen). Auch nach maximaler Exspiration bleibt noch Luft in der Lunge zurück (Residualvolumen) und dient als Luftpuffer gegenüber zu starken Partialdruckschwankungen der Atemgase. Diese Luftreserve entweicht erst bei einem Lungenkollaps. Aus der Summe von Atemzug-, Einatmungsreserve- und Ausatmungsreservevolumen ergibt sich die maximal bewegbare Lungenluftmenge (Vitalkapazität); Residualvolumen und Vitalkapazität zusammen ergeben die Totalkapazität ( vgl. Abb. ).
2) Die Atmung bei Pflanzen (Respirationsraten vgl. Tab. ) umfaßt im Gegensatz zur tierischen Atmung mehrere, biochemisch nicht miteinander verbundene Prozesse. Neben der üblichen Dissimilation von Kohlenhydraten kann Sauerstoff noch in weiteren Vorgängen gebunden werden, die in verschiedenem Umfang auftreten können: a) Zusätzlich zu der von Tieren bekannten Atmungskette gibt es noch einen zweiten Weg, um die Reduktionsäquivalente aus dem Citratzyklus zu oxidieren. Diese cyanidresistente Atmung funktioniert ohne Beteiligung von Cytochrom b und tritt vor allem in ruhenden Samen, während der Wundheilung und in alternden pflanzlichen Geweben auf. Daneben wird sie zur Erzeugung von Atmungswärme eingesetzt. b) Bei der Photorespiration oder Lichtatmung wirkt die Ribulose-1,5-diphosphat-Carboxylase (Rubisco) für die Pflanze zum Nachteil als Oxygenase und spaltet das bei der Photosynthese entstehende Ribulose-1,5-diphosphat (Ribulose-1,5-bisphosphat) unter Sauerstoffverbrauch zu Glykolatphosphat (Phosphoglykolat) und Glyceratphosphat (3-Phosphoglycerat). Da die übliche Dissimilation in Pflanzen während des Tages weitgehend gehemmt ist, geht der Sauerstoffverbrauch im Licht hauptsächlich auf diese Photorespiration zurück, die bei hohen Sauerstoffpartialdrücken einen beträchtlichen Anteil des fixierten Kohlenstoffs wieder freisetzt. Die stark erhöhte Photosyntheseleistung bei geringerer Sauerstoffkonzentration hat vor allem mit der verringerten Photorespiration zu tun. Diese "Schwachstelle" der Photosynthese ist vermutlich evolutionär bedingt: Nennenswerte Konzentrationen von Sauerstoff, bei denen die Oxygenasefunktion der Ribulose-1,5-diphosphat-Carboxylase (Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase) erst zum Tragen kommt, traten ja erst infolge der Photosyntheseaktivität der ersten pflanzlichen Zellen auf. c) Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Oxidasen mit zum Teil ungeklärter physiologischer Funktion, die Sauerstoff binden, aber nicht zu Wasser, sondern zu Wasserstoffperoxid reduzieren. Viele dieser Enzyme finden sich in speziellen Organellen, einer Gruppe der microbodies (Peroxisomen). Manche dieser Oxidationsvorgänge scheinen in Zusammenhang mit der Pathogenabwehr (pflanzliche Abwehr) zu stehen. Da die pflanzliche Atmung aus diesen unabhängig voneinander gesteuerten Teilvorgängen besteht, ist das Verhältnis von Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe natürlich nicht konstant. Der Sauerstoff wird bei einzelligen Algen und Niederen Pflanzen über einfache Diffusion aufgenommen. Bei den Moosen und Farnen treten spezielle Organe auf, die Spaltöffnungen oder Stomata, deren Öffnung durch verschiedene Faktoren gesteuert werden kann und die dem Gas- und Wasseraustausch dienen. Bei Samenpflanzen, die amphibisch oder untergetaucht leben, werden zusätzlich durch Auseinanderrücken der Zellwände noch eigene Belüftungsgewebe (Aerenchym) gebildet, um den Zugang von Sauerstoff auch zu den untergetauchten Pflanzenteilen zu gewährleisten. – Bedeutende Beiträge zur Erforschung des Phänomens der Atmung haben unter anderem geleistet: H. Boerhaave, G.A. Borelli, R. Boyle, J. Breuer, J. Cheyne, J.S. Haldane, S. Hales, K.E.K. Hering, F. Hoffmann, R. Hooke, J. Ingenhousz, S.A.S. Krogh, A.L. de Lavoisier, J. Mayow, O.F. Meyerhof, J.F. Miescher, L. Pasteur, W.F.P. Pfeffer, E.W.F. Pflüger, J. Priestley, N.T. de Saussure, J. Senebier, W. Stokes, O.H. Warburg. aerobe Atmung, anaerobe Atmung, Atemschutzreflexe, Atmungsantriebe, Atmungsinhibitoren, Chronobiologie, Gärung, Hirnstammzentren, respiratorischer Quotient, Schluckreflex, Verdunstung.

K.-G.C./P.N.




Atmung

Volumina und Kapazitäten der menschlichen Lunge. Die Kenngrößen, wie Vitalkapazität und Residualvolumen, hängen von Geschlecht und Alter ab.
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